Redebeitrag zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes

Mein Redebeitrag zum Gesetzentwurf von CDU und SPD zur Änderung des Berliner Hochschulgesetzes

Tobias Schulze (LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Einstieg will ich mal der CDU-Fraktion meinen Dank aussprechen.

[Ülker Radziwill (SPD): Uih!]

Sie machen diesen Gesetzentwurf zu Ihrer heutigen Priorität und stellen damit sehr klar, auf wessen Seite Sie nicht stehen. Sie stehen nicht auf der Seite der Tausenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Berlin, die seit 2021 auf das Inkrafttreten dieses wegweisenden Gesetzes warten, sondern ganz klar auf der Seite der wenigen, die weiterhin auf Kettenbefristungen und Hire and Fire in unseren Hochschulen setzen. Danke für diese Ehrlichkeit! Das wollte ich am Anfang deutlich machen.
Das neue Berliner Hochschulgesetz ist ein Modell, das deutschlandweit als Vorbild für eine nachhaltige Personalstruktur in der Wissenschaft diskutiert wird. Es folgt einem konkreten Grundsatz: Wer promoviert ist, darf nur dann weiter befristet angestellt werden, wenn über festgelegte Kriterien eine Dauerstelle zu erreichen ist. – Dieser Grundsatz zieht sich durch alle Personalkategorien, ob Juniorprofessur, Dozentur oder WiMi. Unsere Höchstqualifizierten müssen mit Mitte dreißig wissen, ob sie eine Perspektive in der Wissenschaft haben oder nicht. Das ist das Ziel.
Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine der Leistungsfähigkeit und der Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Hochschulen. Das hat die Kollegin Neugebauer schon angesprochen. 90 Prozent des wissenschaftlichen Mittelbaus an unseren Universitäten sind befristet beschäftigt. Bei den Promovierten sind es immer noch 60 Prozent. Sie kämpfen alle paar Monate oder Jahre darum, dass es für sie irgendwie weitergeht. Ich zitiere hier mal mit Erlaubnis des Präsidenten eine renommierte Kollegin aus der Humboldt-Universität:
Ich war in vier Jahren an acht Unis, und das war nicht mein Wunsch. Die BahnCard 100, die ich brauchte, hat mir niemand bezahlt. Viele Kolleginnen, die ich kannte, sind an dieser Situation zerbrochen.
Das ist die Realität in unseren Universitäten. Wir verschleudern derzeit das Potenzial unserer Nachwuchswissenschaftlerinnen. Sie kämpfen um ihre Existenz, anstatt diese Energie in Forschung und Lehre zu investieren. Das ist das Problem. 70 Prozent unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erreichen keine Dauerposition, sondern fliegen im mittleren Alter einfach aus dem System. Wir haben eine Bestenauslese in der Wissenschaft, die Besten steigen nämlich aus und suchen sich was anderes oder gehen ins Ausland. Das ist die Bestenauslese.
Bundesweit sind in dieser Woche Forscherinnen und Forscher aus dem Mittelbau auf die Straße gegangen. Sie fordern von Bund und Ländern das, was im neuen Berliner Hochschulgesetz in § 110 steht: Befristung nach der Promotion nur noch mit einer Anschlusszusage. Und sie werden darin von Tausenden Professorinnen und Professoren unterstützt. Der Ich-bin-Hanna-Bewegung folgt jetzt die Bewegung „Profs für Hanna“. Es lohnt sich auch, mal Berliner Hochschulpräsidentinnen wie Professorin Rauch von der TU zuzuhören, die genau dieses Modell Anschlusszusage bewerben.
Das ganze Wissenschaftssystem ist im Umbruch und diskutiert derzeit darüber, wie prekäre Verhältnisse in unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen überwunden werden können. Was tut diese Koalition in dieser Situation? – Sie verschiebt das einzige deutschlandweite Hochschulgesetz, das ein Vorbild für eine bundesweite Personalstrukturreform sein kann, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Ist das Ihr Ernst, ganz ehrlich, in dieser Situation? – Wir haben diese Woche diese Aktionswoche der WiMis und der Nachwuchswissenschaftlerinnen, und Sie haben nichts anderes zu tun, als dieses Gesetz hier einzubringen. Das ist, ehrlich gesagt, irre.
Die Hochschulen haben bereits mit der Umsetzung der Entfristung begonnen. Sie haben Kommissionen gegründet und Modelle für den Tenure-Track, also die Bewährung bis zur Dauerstelle, erarbeitet. Ab Oktober sollte es losgehen. Unsere Unis sind bereit, und jetzt stoppen Sie diesen Aufbruch. Sie schaden der Berliner Wissenschaft. Viele weitere Nachwuchswissenschaftlerinnen werden sich entnervt von Berlin abwenden. Schon die zweijährige Übergangsfrist von 2021 zu 2023 hat sie geärgert, aber die jetzige Kehrtwende von CDU und SPD lässt die Hoffnung in die Politik endgültig schwinden.
Ich muss noch mal sagen, es wurde schon angesprochen: Offenbar haben Sie Angst vor den Reaktionen aus der Wissenschaft, oder warum verweigern Sie im Wissenschaftsausschuss eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf? Lassen Sie uns darüber reden! Laden Sie die Betroffenen ein!

[Zurufe von Adrian Grasse (CDU) und Heiko Melzer (CDU)]

Laden Sie die Gewerkschaften ein! Sie hätten genug Zeit, das Gesetz dann noch durchzubringen, um es im September beschließen zu lassen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Mutig und innovativ, so sollte gute Wissenschaft sein. Was Sie hier machen, ist leider mutlos und rückwärtsgewandt. Sie können sich auf entschiedenen Widerstand gefasst machen, von den Betroffenen, von den Gewerkschaften, von den Initiativen, von den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern, von den Menschen aus dem Mittelbau und selbst von den Professorinnen und Professoren, die sich mit der Vorbereitung dieser Personalstrukturreform befasst haben. Und Sie können sich auch auf unseren entschiedenen Widerstand gefasst machen. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]