Berliner Semesterticket retten!

Mein Redebeitrag zum dringlichen Antrag der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus am 25. 5. 2023

Tobias Schulze (LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die besten Debatten kommen immer zum Schluss. Ich sehe Ihnen die Vorfreude förmlich ins Gesicht geschrieben. Studierende waren und sind eine der einkommensschwächsten Gruppen in unserer Stadt, und sie fallen leider viel zu oft durch alle Raster der sozialen Abfederung. Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es nach langen Verhandlungen Semestertickets im Solidarmodell. Solidarmodell heißt: Alle bezahlen und alle dürfen fahren. Das Geld dafür wird mit der Rückmeldegebühr eingezogen, ähnlich wie ein Firmenticket.
Gut funktionierende Semestertickets wurden immer als Vorbild für eine solidarische Finanzierung des ÖPNV gesehen, etwa als Vorbild für eine Nahverkehrsumlage. Die Berliner Semestertickets waren mit fast 200 000 festen Zahlerinnen und Zahlern auch immer planbare und sichere Einnahmen für die Verkehrsunternehmen. Selbst in der Coronakrise standen diese Einnahmen in vollem Umfang zur Verfügung und zwar auch dann, als sich alle anderen abgemeldet haben vom ÖPNV.
Aber nicht nur für die Verkehrsunternehmen, sondern vor allem für die Studierenden ist ein preisgünstiger Nahverkehr wichtig, erst recht, wenn die Kosten für Lebensmittel, Mieten oder Energie explodieren.
Wir hatten letztes Jahr ein 9-Euro-Ticket bundesweit. Wir hatten auf Berliner Ebene ein 29-Euro-Ticket und haben ein 9-Euro-Sozialticket bis heute, aber die Studierenden wurden immer wieder vergessen. Es gab keine Angebote seitens des VBB, die in diese neuen Preisstrukturen passten. Heute zahlen Studierende in einem verpflichtenden Modell, das sie zwangsweise bezahlen müssen, auch die, die gar nicht damit fahren, immer noch fast 33 Euro pro Monat.
Wie erklären Sie denn Studierenden, dass Sie zwangsweise mehr zahlen als die Leute, die zukünftig freiwillig ein 29-Euro-Ticket kaufen sollen?

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Die Studierenden fordern, dass es auch für sie Entlastungsmaßnahmen gibt, dass auch für sie der Preis gesenkt wird. Das fordern sie, ehrlich gesagt, vollkommen zu Recht. Was macht der Senat? Was macht der VBB? Er würde am liebsten noch Preissteigerungen in den Verhandlungen durchsetzen und auf Kosten der Studierenden Mindereinnahmen an anderer Stelle kompensieren, weil sie sich nicht wehren können; sie haben Zwangsverträge.
In sechs Tagen laufen nun die Verträge für Hochschulen mit 80 000 Studierenden aus. Es gab seit April kein neues Angebot des VBB – das Angebot ist schon vom letzten Herbst –, das irgendwie unterschriftsfähig wäre.

[Zuruf von der CDU: Was haben Sie denn da gemacht beim letzten Mal?]

Die HTW hat nun das Ende bereits für das Wintersemester angekündigt. Eine Hochschule ist also schon raus.

Vizepräsident Dennis Buchner:
Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Förster von der CDU-Fraktion zulassen möchten?

Tobias Schulze (LINKE):

Aber bitte schön, aber nur, wenn die Uhr anhält.

Christopher Förster (CDU):

Herr Schulze ich frag für den Kollegen. Was haben Sie in den letzten 6 Jahren eigentlich gemacht, haben Sie regiert oder was erzählen Sie uns den heute? Sie hätten das alles längst umsetzen können. Erzählen Sie uns doch gerne was Sie gemacht haben und stellen Sie hier nicht irgendwelche hypothetischen Fragen.

Tobias Schulze (LINKE):

Wir haben das Semesterticket noch mal zur Vertragsreife gebracht, sonst gäbe es hier schon jetzt nichts mehr. Schon letzten Herbst war das Problem das gleiche.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Jetzt gibt es noch ein Semesterticket.
Jetzt sind Sie dran. Sorry, Sie wollten das so. Augen auf bei der Berufswahl. Seit Monaten weisen wir, weisen die Studierenden auf diese Fristen hin. Jetzt wird hier sehenden Auge das 20 Jahre laufende Berliner Semesterticket aufgegeben. Wir fordern den neuen Senat auf, den Studierendenschaften ein sofort unterschriftsfähiges Angebot zu unterbreiten.

[Beifall von Katina Schubert (LINKE)]

Das ist die einzige Chance, um das Semesterticket zu retten, und zwar eines, das zum geplanten 29-Euro-Ticket passt und preislich den Abstand nach unten dazu wahrt.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Frau Dr. Schreiner und Frau Dr. Czyborra! Sie sind nun gerade erst im Amt und haben gleich das schöne Problem auf dem Tisch, aber es ist jetzt Ihr Problem. Ich kann Sie nur auffordern: Retten Sie dieses sozialökologische Modellprojekt und machen Sie sich Gedanken darüber, wie es in Zukunft damit weitergehen soll. Wie können zum Beispiel die Mittel des 49-Euro-Tickets für günstige Semestertickets in Berlin eingesetzt werden? Das ist eine große Frage. Wenn Sie es nicht schaffen, das Semesterticket noch für das Wintersemester zu retten, dann öffnen Sie das Sozialoder Azubi-Ticket für Studierende. Auch das ist eine Option, damit eine der einkommensschwächsten Gruppen der Stadt einen kostengünstigen ÖPNV hat.
Die Studierenden sind die Zukunft. Bisher haben sie den ÖPNV Berlins gestützt, auch in harten Zeiten, und sie haben den ÖPNV geliebt, ob sie nun knutschend nachts in der U2 saßen oder ob sie morgens um 2.00 Uhr verkatert in der S1 saßen – sie haben den ÖPNV geliebt. Sie einfach zu vergessen und nichts für sie zu tun und sie sozusagen dem normalen Preis- und Ticketangebot zu überlassen, das sollten wir nicht tun. Tun Sie noch etwas. Sie haben noch eine Woche. Reden Sie mit den Studierendenschaften. Bieten Sie Lösungen an. Jetzt ist schnelles Handeln gefragt. Wir fordern Sie mit unserem Antrag dazu auf und hoffen, dass Sie dem nachkommen. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]