Lehrkräftebildung an den Berliner Hochschulen stärken!

Mein Redebeitrag vom 23. 3. 2023 zum Antrag der Linksfraktion „Lehrkräftebildung an den Berliner Hochschulen stärken!“

Tobias Schulze (LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über 3 000 Lehrkräfte waren gestern am inzwischen elften Streiktag der GEW Berlin für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz auf der Straße. Die Kolleginnen und Kollegen haben die Schnauze voll und das völlig zurecht.
Bei nur noch 96,6 Prozent liegt im laufenden Schuljahr die Personalausstattung an Berliner Schulen, wohlgemerkt im Durchschnitt 96,6 Prozent. Das bedeutet, wir haben auch Schulen, die deutlich unter diesen 96,6 Prozent liegen, insbesondere in den schnell wachsenden Ostbezirken und in sozialen Brennpunkten.
875 Vollzeitstellen konnten zu Beginn des letzten Jahres nicht besetzt werden. In der Praxis bedeutet das, Sprachförderung und Inklusion fallen weg zugunsten von Vertretungsunterricht. Und trotz der vielen Vertretungen fällt Unterricht aus. Die Klassen werden immer größer. Darunter leiden die Schülerinnen und Schüler, aber darunter leiden auch die Beschäftigten, von denen viele nach monatelangen 60-Stunden-Wochen schlicht und ergreifend krank werden. Die Krankenstände sind so hoch wie nie.
Das Berliner Schulsystem brennt lichterloh. Fast 60 Prozent der neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrer haben keinen entsprechenden Abschluss, an den Grundschulen sind sogar 80 Prozent keine ausgebildeten Lehrkräfte. Ohne Selbstausbeutung und den massenhaften Quereinstieg würde unser Schulsystem augenblicklich zusammenbrechen.
Wir als Linke waren gestern beim Streiktag und haben den Lehrkräften zugehört. Das sollten alle hier im Haus einmal machen. Es hilft. Die Lehrerinnen und Lehrer streiken nämlich nicht für mehr Geld, sondern für bessere Arbeitsbedingungen und mehr ausgebildete Kolleginnen und Kollegen.
Aber warum trage ich Ihnen das als Wissenschaftspolitiker hier eigentlich vor? – Weil der zentrale Baustein zur Lösung dieses Problems in unserer Zuständigkeit im Land Berlin liegt. Die Hochschulen müssen endlich ausreichend Lehrkräfte ausbilden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Im Sondierungspapier von CDU und SPD können wir lesen – Zitat –:
Berlin wird deutlich mehr Lehrkräfte ausbilden als bisher, um den wachsenden Schülerzahlen gerecht zu werden.
Ganz ehrlich, das ist leider eine Nullaussage. Deutlich mehr als die faktischen 900 Absolventinnen und Absolventen sind schon in den jetzigen Hochschulverträgen vereinbart. Die entscheidende Frage an Sie von CDU und SPD lautet dagegen: Streben Sie an, ausreichend Lehrkräfte auszubilden, also so viele Lehrkräfte, dass der Bedarf der Berliner Schulen damit gedeckt werden kann? – Das ist die entscheidende Frage.
[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Tuba Bozkurt (GRÜNE) und Dr. Bahar Haghanipour (GRÜNE)]
Das wären nämlich ausweislich der Bedarfsanalyse der Bildungsverwaltung von Mai 2022, Rote Nummer 0353, mindestens 3 000 neue Lehrkräfte pro Jahr. Diese Prognose enthält noch nicht einmal die steigenden Bevölkerungsprognosen und die aus der Ukraine geflüchteten Kinder. Sie ist also eigentlich noch zu niedrig angesetzt.
Zudem gehen auch viele Absolventinnen und Absolventen unserer Universitäten in andere Bundesländer, zum Teil sind sie dahergekommen und gehen einfach wieder zurück. Diese Bundesländer bilden zu wenig aus. Das heißt, wir können das nur über einen bundesweiten Staatsvertrag ändern und nicht im Land Berlin.
Kurzum: Wenn Sie irgendwann einmal vor diese Welle kommen wollen, wenn Sie irgendwann einmal nicht zu Beginn des Schuljahres das Fehlen von Hunderten Lehrkräften beklagen wollen, müssen Sie jetzt mit den kommenden Hochschulverträgen, die bis 2028 laufen, die Weichen in Richtung 3 000 Absolventinnen und Absolventen pro Jahr stellen. Jetzt!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Tuba Bozkurt (GRÜNE), Dr. Bahar Haghanipour (GRÜNE) und Catrin Wahlen (GRÜNE)]

Wer nicht einmal den politischen Willen formuliert, bedarfsgerecht auszubilden, handelt verantwortungslos. Das muss man auch mal klar sagen.
Nun werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD insbesondere, einwenden, dass es bei aktuell 900 Absolventinnen – die Tendenz ist leider fallend – egal sei, ob man 2 000 oder 3 000 Absolventinnen anstrebe. Aber ich sage Ihnen als Wissenschaftspolitiker: Das ist nicht egal.
Wenn die Unis bedarfsgerecht ausbilden müssen, weil wir sie dazu verpflichten, dann müssen sie intern die Prioritäten auch anders setzen. Dann müssen sie die Ressourcen intern umverteilen. Und dann müssen sie die Qualität des Studiums steigern, sonst werden sie es nicht schaffen.
Ich sage hier auch ganz klar: Vor der Kür kommt die Pflicht. Wenn immer mehr Drittmittelanträge und Exzellenzcluster die Kür sind, dann ist die bedarfsgerechte Ausbildung von Lehrkräften im Land Berlin die Pflicht.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Tuba Bozkurt (GRÜNE)]

Wir haben mit Rot-Rot-Grün noch 17 Millionen Euro für die Jahre 2023 bis 2025 zusätzlich zu den Hochschulverträgen gesichert. Die neue Koalition sollte diese Mittel fortführen und am besten noch was draufsatteln, auch Investitionsmittel.
Ich kann Ihnen das nur noch zum Schluss mitgeben: Wir bezahlen heute für die viel zu niedrig angesetzten Zielzahlen von vor zehn Jahren, und solch einen Fehler sollten wir den zukünftigen Generationen von Schülerinnen und Schülern nicht noch mal antun. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]