Mit dem Gesundheitsausschuss nach Kopenhagen: das war unsere Reise.
Einmal pro Legislaturperiode reisen die Ausschüsse des Abgeordnetenhauses ins Ausland, um Kontakte zu knüpfen, Ideen und Eindrücke für die eigene Facharbeit mitzunehmen und den eigenen Horizont zu erweitern.
Meine erste Reise in dieser Wahlperiode führte mich mit dem Ausschuss für Gesundheit und Pflege in die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Im Mittelpunkt standen die Reformen des Krankenhauswesens in Dänemark, die häufig als Vorbild für die deutsche Krankenhausreform genannt werden.
Nach unserer Ankunft bekamen wir eine kurze Stadtführung und in der Residenz des deutschen Botschafters ein Briefing über das politische System und aktuelle politische Debatten in Dänemark. Das Land gilt bei uns ja als ein Hort des guten Sozialsystems und guter Arbeitsbedingungen. Wie in den anderen skandinavischen Ländern auch wird das Gesundheits- und Sozialsystem durch Steuern finanziert und fast vollständig öffentlich organisiert. Das Vertrauen in staatliche Einrichtungen, Debatten und die Politik ist insgesamt groß. Es gibt immer noch einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt der 5,8 Millionen Dän*innen, von denen knapp 90 Prozent in Dänemark geboren sind.
Dieser soziale Kitt hat auch seine Schattenseite: die Einstellungen gegenüber der EU, gegenüber Freizügigkeit und Zuwanderung sind restriktiver als bei uns und spiegeln sich auch in der dänischen Politik wider. Der Botschafter machte sehr deutlich, dass wegen der regionalen Beziehungen und Nähe zum Baltikum und zu Schweden und Finnland die Unterstützung für die Ukraine sehr viel klarer formuliert wird.
Interessant war auch, dass Dänemark bei der Digitalisierung aller Lebensbereiche zusammen mit Finnland an der Spitze aller Länder steht und jetzt u.a. eine Debatte über die negativen Auswirkungen der (zu) frühen Ausstattung mit digitalen Geräten im KiTa- und Schulbereich führt. Nach diesen spannenden Ausführungen waren wir gespannt auf die nächsten Tage.
Den nächsten Tag verbrachten wir in Eigtveds Pakhus am alten Hafen, einem Tagungshaus des Außenministeriums. In einem achtstündigen Vortrags- und Diskussionsmarathon tauschten wir uns mit Vertreter*innen des Innen- und Gesundheitsministeriums, mit der Behörde für Gesundheitsdaten, mit den Vertreter*innen der dänischen Regionen und mit einem Vertreter des IT-Unternehmens Systematic.
Wir haben viel gelernt. In einem steuerfinanzierten und öffentlich organisierten Gesundheitsystem lassen sich Reformen ganz anders vorbereiten und umsetzen als in unserem vor allem privat organisierten System. Zudem werden Krankenhäuser nicht wie bei uns nach der Zahl ihrer Fälle bezahlt, sondern sie bekommen einen festen Betrag, der jedes Jahr geprüft und neu festgelegt wird. Insgesamt gibt es wenig Konkurrenz um Patient*innen zwischen den verschiedenen Sparten des Systems, aber auch ein starkes System der Patientenlenkung. Erste Anlaufstelle ist immer der oder die Familienärzt*in, bei der man in der Regel lange Patient*in ist. Erst von dort wird man bei Bedarf ins Krankenhaus oder zu Spezialärzt*in überwiesen.
Unser Hauptaugenmerk galt den Vor- und Nachteilen des „Super Hospital Programm“, das seit knapp 16 Jahren umgesetzt wird. Parallel zu einer Verwaltungsreform der Regionen werden hier 16 moderne, zentralisierte und umfassend ausgestattete Großkrankenhäuser gebaut, die neueste Technik und Einzelzimmer beinhalten. Ziel war eine bessere Qualität der Versorgung und deren Aufrechterhaltung auch bei weniger Fachkräfteressourcen. Die Bilanz dieses Programms ist bestenfalls als durchwachsen zu bezeichnen: zum einen wurden die Zeitpläne weitgehend gerissen, zum anderen reichen die gedeckelten Mittel nicht aus. 2020 sollte das Programm beendet sein, aber die meisten Projekte sind bis heute nicht fertig gestellt.
Zeitgleich bricht die grundständige Versorgung mit niedergelassenen Allgemeinmediziner*innen in den ländlichen Regionen weg. Praxen finden keine Nachfolge. Viele Patient*innen müssen im Notfall über weitere Strecken mit Rettungswagen oder Hubschrauber ins Krankenhaus transportiert werden. Mittlerweile wird auch in Dänemark über die Schaffung von neuen kleineren ambulanten und stationären Versorgungseinrichtungen in der Fläche diskutiert.
Beeindruckt hat mich jedoch der Stand der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Elektronische Patientenakte und Rezepte sind seit langem Standard. Ambulante und stationäre Bereiche tauschen umfassend Daten aus. Aber auch die Patient*innen haben Zugriff auf Befunde und Therapiepläne. Alle Softwaresysteme in Krankenhäusern und Praxen müssen über entsprechende Schnittstellen mit der zentralen IT-Infrastruktur kommunizieren. 300 Menschen arbeiten in dieser Behörde, die die Infrastruktur zur Verfügung stellt. Dass wir in Deutschland in fast 30 Jahren gematik gerade einmal eine fast nicht nutzbare Patientenakte und ein immerhin taugliches eRezept hinbekommen haben, beschämt.
Am nächsten Tag besuchten wir das Rigshospitalet, das nach der Bettenzahl das zweitgrößte Krankenhaus Dänemarks ist. Es wird von der Region (etwa wie unsere Bundesländern) betrieben und ist damit ein kommunaler Maximalversorger – in Berlin vielleicht mit Vivantes vergleichbar. Wir erfuhren dort viel über die Finanzierung der Krankenhäuser, die nicht nach Fallzahlen, sondern über eine Selbstkostendeckung bezahlt wird. Es gibt für die Häuser weder einen Anreiz, besonders viele Patient*innen zu haben noch besonders teure Operationen durchzuführen.
Als „Super-Hospital“ mit vielen Spezialisierungen kommen die Patient*innen nicht nur aus der Region Kopenhagen, sondern auch aus den entfernten Regionen Sjaelland, Grönland und den Faröer-Inseln. Wir waren beeindruckt von der technischen Ausstattung etwa mit 3D-Druckern für Prothesen, aber auch von der engen Zusammenarbeit mit Forschung und Entwicklung.
Im Rigsohospitalet stellte sich uns auch der private Rettungsdienst Falck vor, der in Danemark in allen Regionen bis auf eine den Rettungsdienst sowie weitere Transportdienstleistungen betreibt. Es hat uns erstaunt, dass eine so weitgehend staatliches und kommunales Gesundheitssystem ausgerechnet den Rettungsdienst privatisiert. Und in der Tat ist das technische und organisatorische Niveau dieser Firma zumindest in den uns gezeigten Präsentationen beeindruckend gewesen. Dabei ging es insbesondere um die Vernetzung digitaler mobiler Anwendungen wie Notfall-Apps, aber auch die Verknüpfung mit Telemedizin. Trotzdem geht es hier um einen börsennotierten Konzern, der weltweit Gesundheits- und Pflegedienstleistungen privaten Gewinninteressen unterwirft.
Interessant war für uns auch das erklärte Ziel, die Todesraten bei Herzstillständen und Schlaganfällen deutlich zu senken. Dazu wird nicht nur ein flächendeckendes Netz von öffentlich zugänglichen Defibrillatoren gesponnen, sondern es werden auch Ersthelfer per Smartphone angebunden und angeleitet. Die Erfolge dieser Strategie sind beeindruckend, die Todesraten sanken deutlich.
Am letzten Tag der Riese trafen wir im dänischen Parlament mit Mitgliedern des Gesundheitsausschusses zusammen. Das Parlament ist im beeindruckenden Schloss Christiansborg untergebracht, in dem auch das Königshaus, das Oberste Gericht und der Staatskanzlei sitzen. Auf dem Platz davor wurden Pferde ausgeritten.
Die idyllische Umgebung konnte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Parlament gerade hart gerungen wird. Nach all den Präsentationen hörten wir im Parlament auch von den großen Problemen, die das dänische Gesundheitssystem hat. Lange Wartezeiten auf wichtige Operationen, Skandale wegen lebenswichtiger, aber nicht erbrachter Krebs-OPs und v.a. große ambulante Versorgungslücken in der Fläche sowie der dramatische Fachkräftemangel. Nachdem die letzte Gesundheitsreform erst 2022 abgeschlossen wurde, berät nun eine neue Strukturkommission wieder grundlegende Reformen im Gesamtsystem. Die unterschiedlichen Sichtweisen der Fraktionen von links bis konservativ wurden dabei sehr deutlich. Ebenso wie die Sichtweise, dass ein System wesentlich leichter zu reformieren ist, wenn nicht derart viele Gewinninteressen und Player im Spiel sind wie in Deutschland. Andere Probleme sind auch größer als bei uns – etwa, dass die Dänen tendenziell keine Zuwanderung wollen und deswegen der Fachkräftemangel größer ist als hierzulande.
Der nachfolgende Besuch im Plenarsaal fiel wenig spannend aus: der Saal war fast komplett leer, lediglich die Redner*innen selbst verfolgten die Debatte.
Auf der Rückfahrt blieb die Zeit für ein Fazit: wir haben viel mitgenommen. Technik und Digitalisierung kann viel Fortschritte bringen, wenn es nicht nur darum geht, Leistungen abzubauen. Strukturreformen wie die Zentralisierung von Großkrankenhäusern bringen zwar gute Effekte, aber es bleibt die Frage, ob angesichts der Milliardenkosten und der doch sehr langen Umsetzungsdauer der Neubauvorhaben diese Effekte der Spezialisierung nicht auch anders zu erreichen sind. Und nicht zuletzt: die wohnortnahe Versorgung in der Fläche kann in ihrer Bedeutung nicht ersetzt werden. Das haben auch die Verantwortlichen in Dänemark Stück für Stück erkannt.
Die Rückreise wurde in mehrerlei Hinsicht aufregend: zuerst löste ein brennender Fön einen Feuerwehreinsatz in unserem Hotel aus. Dann war bis zur letzten Minute unklar, ob unser Flieger wegen des Streik des Berliner Flughafenpersonals überhaupt in Kopenhagen ankommt. Und so trennte sich der Ausschuss in „Reisegruppe Flugzeug“ und Reisegruppe „Zug“. Ich wählte die Sicherheit und fuhr mit dem Zug. Dieser kam mit zwei Stunden Verspätung gegen 23 Uhr in Berlin an. Da saß die Reisegruppe Flug schon lange auf dem Sofa, der Flieger war dann doch abgehoben.