„Verfahrensverzeichnis für automatisierte Entscheidungsprozesse in der Verwaltung“

Mein Redebeitrag zum FDP-Antrag „Verfahrensverzeichnis für automatisierte Entscheidungsprozesse in der Verwaltung“

Vizepräsidentin Cornelia Seibeld:
Für die Linksfraktion hat der Kollege Schulze jetzt das Wort.

Tobias Schulze (LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es hier eigentlich heute bei diesem spannenden, nerdigen Tagessordnungspunkt? Die Stimmung kocht. Man sieht es schon.

[Sibylle Meister (FDP): Ja!]

Es geht tatsächlich darum, dass, wenn wir unsere Verwaltung digitalisieren, wir natürlich nicht die analogen Prozesse, die derzeit stattfinden, wo die Bearbeiterin und der Bearbeiter vor der Akte sitzt, hier und da ein Kreuzchen macht und was hinschreibt, in die digitale Welt übertragen, denn wie heißt es immer so schön? – Ein schlechter Prozess digitalisiert ist ein schlechter Prozess digital. Vielmehr werden diese Prozesse im Zuge eines Verfahrens, das sich Geschäftsprozessoptimierung nennt, auf ihre Effizienz angeguckt und in Teilen in automatisierte Prozesse überführt, sodass die Bearbeiterinnen und Bearbeiter, die dann vor den Rechnern sitzen, tatsächlich nur noch bestimmte Eckdaten eingeben und die Entscheidungen automatisch gefällt werden.
Das wiederum ist tatsächlich eine dramatische Veränderung im Verwaltungshandeln, die wir da erleben werden, die Sie schon von anderen Prozessen kennen, beispielsweise wenn Sie einen Versicherungsvertrag im Internet abschließen oder wenn Sie juristische Fachsoftware benutzen, wo auch juristische Entscheidungen schon automatisiert gefällt werden können. Diese Prozesse werden kommen. Ich bin übrigens auch der Einschätzung, dass der Antrag ein ganz kleines bisschen zu früh kommt. Wir sind tatsächlich noch nicht so weit, aber die Debatte ist richtig. Wir haben sehr unterschiedliche Qualitäten von Oppositionsanträgen. Das hier ist ein guter Antrag. Das will ich mal auf jeden Fall sagen. Er befördert die richtige Debatte.
Das Thema Folgeabschätzung von künstlicher Intelligenz wird uns tatsächlich beschäftigen. Wir müssen ja entscheiden, wo wir sie einsetzen wollen und wo nicht. Dafür brauchen wir ein Verzeichnis. Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, wo kein Mensch mehr entscheidet, sondern eine Maschine. Dass Bürgerinnen und Bürger das einsehen können sollen, ist ein absolut sinnvolles Anliegen. Die Problemfälle wurden auch schon genannt, beispielsweise Polizeidatenbanken, aber auch Mieterinnen und Mieter, die wissen wollen, warum der andere, der in der Schlange neben mir stand, zur Wohnungsbesichtigung eingeladen wurde und ich nicht. Diese Fragen tauchen auf, wenn IT eingesetzt wird, um Entscheidungen zu treffen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Ohne Transparenz wird das nicht möglich sein.
Eben wurde es schon angesprochen: Der Quellcode von Software ist natürlich die ganz entscheidende Instanz in so einer Frage. Wenn wir Verwaltungsentscheidungen durch Software treffen lassen, muss nachvollziehbar sein, was die Software genau tut. Das wiederum geht nur mit Open-Source-Software. Nur da kann man auch reingucken. Bei allen anderen Geschichten ist klar, dass der Hersteller nicht sagen wird, wie seine Software arbeitet, sondern das ist sein Geschäftsgeheimnis. Auch diese Fragen werden uns in dem Zuge beschäftigen. Deswegen wird Verwaltungssoftware in Zukunft vor allem Open Source stattfinden. Das hatten wir in der Debatte vorhin.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Tom Schreiber (SPD) und Werner Graf (GRÜNE)]

Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, den ich auch schon mal vorhin in dem Zusammenhang angebracht habe: Wenn wir Entscheidungen digitalisieren, dann verändert sich die Rolle von Beschäftigten im öffentlichen Dienst fundamental. Meine Frau ist Mitarbeiterin im Jugendamt gewesen, als die dort die digitalen Fachverfahren bekommen haben. Da wurde erst mal ihre Berufsbezeichnung von Sozialpädagogin in Sachbearbeiterin heruntergestuft. Das fanden die Leute dort vor Ort im Jugendamt nicht lustig. Darüber müssen wir uns natürlich Gedanken machen. Wenn jemand zwanzig Jahre lang seine Papierakten hegt und pflegt, seine persönliche Anmerkungen darin hat, Entscheidungsspielräume auch in den Papierakten hatte und in dem Mangel, den wir doch an vielen Stellen im Land Berlin verwalten, Dinge zum Besseren wenden konnte, dann möchte der mitreden über die Frage, wie das, was er bisher auf Papier gemacht hat, in Zukunft digital stattfindet. Welche Spielräume hat er oder sie dann noch? Kann er oder sie dann noch dasselbe für die Klienten tun, die da vor ihm bzw. ihr sitzen, wie bisher, oder ist er oder sie nur noch dazu verdammt, drei Worte einzugeben, hier und da mal ein Häkchen zu machen, und der Computer spuckt zum Schluss die Entscheidung aus? – Damit werden wir keine anspruchsvollen Fachkräfte mehr gewinnen, sondern wir müssen denen schon klarmachen, dass ihnen die Digitalisierung hilft und nützt und sie nicht einschränkt und zu willenlosen Menschen macht, die nur Sachen auf dem Bildschirm anklicken.
Wie ist die Arbeitskultur in den Verwaltungen? Welche Rechte, Möglichkeiten und Aussichten haben die Beschäftigten dann, die vor den Rechnern sitzen und diese Geschäftsprozesse bearbeiten? – Diese Fragen müssen wir mitdiskutieren.
Der allerletzte Punkt – Herr Kollege Ziller hat es angesprochen –: die Landeskompetenz. Richtig ist: Das Internet hört nicht an den Grenzen von Berlin auf. Richtig ist aber auch: Wir haben natürlich diverse Geschäftsprozesse, die in Berlin entwickelt werden, die in Berlin umgesetzt werden und wo die Berlinerinnen und Berliner bei diesen Landesprozessen ein Recht darauf haben sollten, Transparenz darüber hergestellt zu bekommen, woraus die gebaut sind, wie sie gemacht sind, wie sie wirken und welche Risiken sie haben. Ja, klar, vieles ist europäisch, aber wir haben schon ein paar Landesdinge und auch in den Bezirken ein paar Dinge zu regeln. Insofern freue ich mich auf die Debatte, tatsächlich diesmal auf die Debatte im Ausschuss. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]