Wenn ein Ausschuss eine Reise tut… Nachbericht zu Helsinki 2019

Reisen von Parlamentsausschüssen geraten gelegentlich in die Schlagzeilen und manche Menschen fragen sich, warum Abgeordnete überhaupt ins Ausland reisen müssen. Ich will etwas zur Aufklärung beitragen und über die Reise des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung nach Helsinki im Juni 2019 berichten.

Grundsätzlich wird vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses eine Ausschussreise je Legislatur genehmigt. Das Ziel ist, interessante Impulse für die fachpolitische Arbeit hier in Berlin mit zunehmen. Aber es geht auch darum, internationale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, die Berlin ja unzweifelhaft in vielfältiger Form hat und braucht.

Die Delegation der Linksfraktion vor dem Parlament in Helsinki (Sebastian Schlüsselburg, Franziska Brychcy, Tobias Schulze, Tobias Rossmann)

Vor der Reise steht die Debatte des Reiseziels. Verschiedene Vorschläge lagen auf dem Tisch – etwa Oxford, Kopenhagen, Budapest und Helsinki. Der Ausschuss entschied sich auf Grund der vielen interessanten wissenschaftspolitischen Entwicklungen für Helsinki. Insbesondere ging es um die Translation von Wissenschaft in Innovationen, um die Entwicklung der Unimedizin und auch um den Bologna-Prozess und das Hochschulwesen in Finnland.

Tag 1

Übrigens legt der Präsident zu Recht wert darauf, dass der Ausschuss An- und Abreise gemeinsam gestaltet. Und so trafen Abgeordnete, Fraktionsreferent_innen und die Referentin des Ausschusses sowie Staatssekretär Steffen Krach vormittags in Helsinki ein. Betreut wurden wir von der deutschen Botschaft, besonders unserem Ansprechpartner Herrn Schachtebeck, der die Reise vorbereitete, sage ich hier noch einmal danke.

Erster Programmpunkt war die Besichtigung der neu eröffneten Zentralbibliothek Oodi in der Nähe des finnischen Parlamentsgebäudes.

Und es war ein beeindruckender Einstieg in modernes Denken in Finnland. Bücher? Ja, die gibt es auch in der Oodi – im hellen weitläufigen Obergeschoss. Aber viel beeindruckender sind die modernen Ansätze, eine Bibliothek als offenen Kreativraum für alle zu begreifen. Und so gibt es Ton- und Filmstudios, Gaming Rooms, 3D-Printer, Nähmaschinen, Plotter, PC-Räume und Meeting Rooms – umsonst und für alle zugänglich. Faszinierend. Das pulsierende Leben während unseres Besuchs zeigte, dass dieses Konzept hervorragend angenommen wird. Wir in Berlin haben ja den Neubau der ZLB vor uns – und die Oodi hat uns tonnenweise Ideen mitgegeben, wie eine moderne Bibliothek des 21. Jahrhunderts aussehen sollte.

Es schloss sich eine Stadtrundfahrt mit Blick auf die wichtigsten Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen Helsinkis an, es ging dabei aber auch um Wohnen und Mieten, um Aufwertung – Prozesse, die auch in Helsinki stattfinden und keinen Halt vor Finnland machen. In Helsinki sind die Mieten übrigens derart hoch, dass viele Menschen trotz höherer Einkommen in deutlich kleineren Wohnungen wohnen als in Berlin.

Abends ging es zum Essen mit dem deutschen Botschafter in Finnland auf eine Insel vor dem Hafen. Dort wurde über die aktuelle politische Lage in Finnland gesprochen, die Anfang Juni durchaus spannend war. Schließlich hatten kurz zuvor Wahlen stattgefunden und die Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokraten, Grünen, der finnischen Linkspartei sowie zwei weiteren Partnern befanden sich auf der Zielgeraden. Das Essen war hervorragend (es wurde von den Beteiligten selbst bezahlt).

Tag 2

Am nächsten Morgen trafen wir uns um acht Uhr zum politischen Briefing. Fakten und Daten über das politische und wirtschaftliche System in Finnland, aber auch über die Beziehungen zu Deutschland wurden von den kenntnisreichen Botschaftsmitarbeiter_innen vorgestellt.

Danach sah das Programm neun Besuchsziele hintereinander vor. Wir fuhren zunächst nach Espoo vor den Toren der Stadt. Hier hat sich in den vergangenen Jahren das größte Innovationszentrum Nordeuropas herausgebildet. Im Zentrum steht die Großforschungseinrichtung VTT , bei uns vielleicht vergleichbar mit einer Fusion aus Fraunhofer-, Helmholtz- und Leibniz-Gemeinschaft. Zum „Ökosystem“ in Espoo gehört auch die Aalto-Universität, eine erst zehn Jahre alte Fusion dreier Universitäten mit technischer, künstlerischer und ökonomischer Ausrichtung. Hier fand ich vor allem spannend, dass Studierende von Anfang an in der Umsetzung von Ideen arbeiten. Sie machen sich einfach auf den Weg und werden dabei von der Uni gefördert. Dabei geht es nicht nur um Startups, sondern auch um den öffentlichen Sektor oder künstlerische Bereiche. Die vollkommen natürliche Verbindung von freier Wissenschaft und Anwendung, aber auch eine flache akademische Hierarchie – das beeindruckte schon, obwohl natürlich immer auch Marketing-Geklingel bei solchen Präsentationen dabei ist. Weiter besuchten wir das Startup Mesensei, das Lösungen für die Wissenschaftskommunikation entwickelt, und das UN- Tech-Innovation-Lab. Die UN fördern hier die Verbindung von Innovationstätigkeit und Entwicklungszusammenarbeit. Was können Länder der dritten Welt mitnehmen, was können innovative Zentren geben?

Nachmittags besuchten wir das Kinderkrankenhaus der Universitätsklinik Helsinki. Wir sprachen dort mit dem Vorstand des Uniklinikums Markku Mäkijärvi. Es ging um die Zusammenarbeit mit der Universität, um die Zahl der Ärzt_innen und Pflegenden, aber auch um das finnische Medizinstudium. Besonders interessant fand ich die Ausführungen zur Helsinki-Biobank. Zu Forschungszwecken im Bereich Public-Healthwerden hier großflächig Daten von Behandlungen aus Krankenhäusern vernetzt und ausgewertet. Trotz guten Datenschutzniveaus sind die diese äußerst erkenntnisreichen Forschungen in Helsinki möglich. Davon sind wir in Berlin leider aus ganz verschiedenen Gründen weit entfernt.

Es schloss sich eine Besichtigung des Kinderklinikums selbst an. Pflege und ärztliche Versorgung arbeiten sehr eng zusammen. Zudem war alles neu und mit modernster Technik ausgestattet. So können Kinder per Facetime o.ä. vom Krankenbett aus am Schulunterricht teilnehmen. Spannend und toll zu sehen, wie sich hier der schwerstkranken Kinder angenommen wird. Allerdings hat Finnland einen Prozess der Schließungen von Krankenhäusern und der Konzentration auf weniger, aber dafür besser ausgestattete Standorte hinter sich. Die Auswirkungen werden derzeit ebenfalls erforscht und dürften auch für die deutschen Debatten interessant sein.

Tag 3

Der dritte Tag stand im Zeichen der Digitalisierung. Vormittags besuchten wir den Standort des Unternehmens MaaS Global, das derzeit die App „Whim“ in den Markt bringt. Das Ziel der App ist eine Flatrate-Lösung für alle Verkehrsarten in verschiedenen Städten anzubieten. Jonna Pöllänen von MaaS stellte uns die Idee vor, die einen erheblichen Verhandlungs- und Abstimmungsaufwand erfordert. Schließlich müssen die verschiedensten Konditionen lokaler ÖPNV-Anbieter einbezogen werden. Die Idee, Menschen etwa für 500 Euro/Monat alle Verkehrsangebote in verschiedenen Großstädten inkl. einer bestimmter Anzahl Taxifahrten zur Verfügung zu stellen, klingt interessant. Bei konkreten Nachfragen unsererseits wurde jedoch auch deutlich, wie kompliziert ein solches Vorhaben in die Praxis umzusetzen ist und wie klein die Zielgruppe. Vermutlich geht es um eine Handvoll Menschen, die oft in verschiedenen Großstädten unterwegs sind. Naja…ich bin nicht überzeugt.

Spannender war da der Nachmittag – zunächst an der Universität Helsinki. Frau Pyhältö stellte uns die Struktur und die Inhalte der forschungsbasierten finnischen Lehrerausbildung vor. Das war wirklich beeindruckend. Im Vordergrund steht nicht zunächst überbordende Fachpaukerei, sondern die Kombination von Pädagogik, Praxis und Fachstudium ab dem ersten Semester. Die angehenden Lehrkräfte lernen auch, sich und ihre Rolle zu entwicklen und zu bewerten. Der Berufsstand wird nicht nur extrem gut ausgebildet, er ist auch hoch angesehen. Es bewerben sich deutlich mehr Menschen auf Lehramt als für alle anderen Fächer, etwa sechsmal so viele wie Plätze. Der Grund ist nicht das Gehalt, was uns alle überraschte. Finnische Lehrer_innen verdienen eher etwas weniger als bei uns. Es geht um das Selbstbild, um eine klare Vision von guter Bildung, vom Weitergeben an die nächste Generation – und nicht zuletzt um gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen. Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns – aber wir nehmen viele Ideen aus Helsinki mit.

Danach ging es zur Helsinki Think Company, einer Art Startup-Lab der Universität, das einen ähnlichen Innovationsgeist ausstrahlte wie das in Espoo. Und wieder sind es vor allem Studierende, die solche Dinge auf die Beine stellen. Wir testeten eine neu entwickelte VR-Brille, mit der Operationen auf Entfernen begleitet werden können.

Danach fuhren wir zum neu gebauten Stadtteil Kalsatama, der als Smart City Stadtteil ausgewiesen wurde. Davon war allerdings außer besonders ökologischem und modernen Bauen von außen wenig zu sehen. Das einzig Sichtbare blieb die Müllschluckeranlage, die bis in die Häuser reichte und von der farbige Saugrohre am Straßenrand zu sehen waren. Hier hätte ich mir gewünscht, etwas mehr Innenleben zu sehen.

Tag 4

Ausschuss für Bildung und Kultur im finnischen Parlament.

Am darauf folgenden Tag starteten wir mit Gesprächen im finnischen Bildungsministerium. Zu diesem Zeitpunkt war gerade ausgehandelt, dass mit Li Andersson die junge Parteivorsitzende der finnischen Linkspartei Vasemmistoliitto dieses Ressort übernehmen würde. Der Austausch erstreckte sich über Fragen des Hochschulzugangs bis zur Studienstruktur und den Erasmus-Programmen. Deutlich wurde aber auch, dass die amtierende Staatssekretärin Anita Lehikoinen noch keine Aussagen zum bildungspolitischen Kurs der neuen Regierung treffen konnte. Nach unserer hat es noch einmal eine Umstrukturierung gegeben – Wissenschaft und Kultur wurden zu einem eigenen Ministerium zusammen gefasst.

Nach diesem Gespräch fuhren wir ins finnische Parlament. Hier stand uns die Vorsitzende des Bildungsausschusses, Mia Laiho, Rede und Antwort. Wir fragten insgesamt zur Ausschussarbeit nach, wie diese strukturiert ist und welche aktuellen Frage diskutiert werden. Auch hier war noch unklar, in welche Richtung sich die Mitte-Links-Regierung bewegen würde.

Der letzte Termin unserer Reise war ein Mittagessen mit ehemaligen Stipendiat_innen der Alexander von Humboldt-Stiftung, also Wissenschaftler_innen, die eine Zeitlang in Deutschland gelebt und wissenschaftlich gearbeitet haben. Mittags ging der Flieger zurück nach Berlin. Viel konnte ich für meine Arbeit mitnehmen und hier einen kleinen Einblick geben.

Helsinki um 0.30 Uhr.

Und sonst? Dass es bis um 0.30 hell ist und ab 3.30 schon wieder die Sonne aufgeht, ist doch etwas gewöhnungsbedürftig. Wir waren zudem an einem der heißesten Tage des Jahres dort – Spitzentemparaturen von 25 Grad. Was uns dazu führte, abends doch einmal das Schwimmbad auszuprobieren, das im Becken des alten Hafens eingelassen wurde. Toll, zu schwimmen und den Fähren beim Auslaufen zuzuschauen.

Insgesamt habe wir eine spannende Stadt erlebt, eine Gesellschaft in der vereinbarte Regeln und Werte eine sehr große Rolle spielen. Das Vertrauen der Bevölkerung in öffentliche Institutionen ist groß. Das Verantwortungsbewusstsein in den öffentlichen Einrichtungen haben wir als ebenso groß erlebt.