Meine Rede zur Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses: „Wissenschaftspolitik in Berlin“

Das Abgeordnetenhaus debattierte heute im Rahmen seiner Aktuellen Stunde über die „Stärkung des Wissenschaftsstandorts Berlin“. Auch wenn ich am Anfang auf Vorwürfe des CDU-Redners gegen unsere Bundestagsfraktion entkräften und das Manuskript weglegen musste: hier mein Redemanuskript (es gilt das gesprochene Wort).

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Ich will mit der guten Nachricht für die Wissenschaft in Berlin und in der Bundesrepublik beginnen:

2008 rief die Bundeskanzlerin die Bildungsrepublik Deutschland aus. Und es brauchte nur knapp elf Jahre, bis ihre Bundesregierung mit dem Hochschul- und dem Digitalpakt bereit ist, für diese Bildungsrepublik auch vorbehalt- und fristlos Verantwortung zu übernehmen.

Der Paradigmenwechsel, den auch wir als LINKE seit langem gefordert haben, nämlich, dass der Bund sich dauerhaft in der Grundfinanzierung der Hochschulen engagiert, wurde nun tatsächlich vereinbart.

Diese Pakte, insbesondere der Hochschulpakt, wurden unbefristet abgeschlossen!

Das ist ein Erfolg – weg von temporären Vereinbarungen, die immer wieder zum Spielball der Konjunktur zu verkommen drohten.

Die Älteren erinnern sich: der Hochschulpakt 2020 wurde im Jahr 2006 aus der Not der Länderfinanzen heraus geboren. Die Länder sahen sich nicht in der Lage, den notwendigen Ausbau der Studienplätze aus eigener Kraft zu stemmen. Man redete vom „Studierendenberg“, den es abzuarbeiten gälte. Der Bund bezuschusste dann neue Studienplätze und setzte auf diese Weise Anreize für die Länder.

Aber schlussendlich steht ein Erfolg: die Studierendenzahl in Deutschland stieg von knapp zwei Millionen im Jahr 2005 auf heute fast drei Millionen! Die Quote eines Jahrgangs, die ein Studium aufnimmt, lag 2005 bei 37 Prozent. Heute liegt sie bei knapp 60 Prozent. Ein Ende dieses Hochs ist nicht in Sicht. Aus dem Studierendenberg ist ein Hochplateau geworden.

Was für eine Bildungsexpansion! Es ist ja heute kaum noch von der Wissensgesellschaft die Rede. Aber sie ist zumindest bei der Beteiligung an Hochschulbildung Realität geworden – auch wenn viele Menschen beim Zugang zu Hochschulen und auch an den Hochshculen selbst nach wie vor diskriminiert werden. Hier haben wir noch einiges zu tun.

Allerdings, und das ist die Kehrseite des Booms: diese Ausweitung an Bildungschancen war nur möglich, weil die Hochschulen insbesondere in den nachgefragten Großstädten Höchstleistungen unter schwierigen Bedingungen vollbrachten.

Denn, und jetzt kommen die weniger guten Nachrichten: der Pakt war und ist unterfinanziert, die Hochschulen waren und sind es ebenfalls.

Auch hier bei uns in Berlin quetschte die Politik in den 2000er Jahren etwa 10 Prozent aus den Hochschulhaushalten heraus und sparten 75 Millionen Euro ein.

Trotzdem wuchs die Zahl der Studierenden auch in Berlin ungebremst.

Gut 130.000 Studierende waren es 2005 an den Berliner Hochschulen, knapp 190.000 Studierende sind es heute. Und obwohl die Mittel für unsere Hochschulen seit 2010 wieder stiegen, hielten sie nicht annähernd mit diesem Wachstum mit.

Erst Rot-Rot-Grün setzte hier mit einem jährlichen Aufwuchs von 3,5 Prozent ein klares Signal, dass das Sparen bei den Hochschulen ein Ende hat.

Parallel zum Aufwuchs der Studierenden explodierte das Drittmittelaufkommen. Hinter vorgehaltener Hand wird einem an den Universitäten berichtet, dass im Prinzip keine freie Forschung aus Grundmitteln mehr stattfindet. Grundmittel für die Lehre, Drittmittel für die Forschung – so die grobe Rechnung.

Und das angestellte Personal ist in dieser Situation die Verschiebemasse in den Hochschulhaushalten –  dies galt lange auch für Berlin. Mehr als 90 Prozent der angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unseren Hochschulen sitzen auf befristeten Verträgen!

Wer nicht eine der wenigen Professorenstellen ergattert hat, fristet in der Regel ein prekäres Dasein mit Kettenbefristungen, oft noch auf Teilzeit. Wir haben ein Heer von Lehrbeauftragten, die vielfach im Haupterwerb Lehre zu vergleichsweise Dumpinglöhnen machen.

Der höchstqualifizierte Bereich des öffentlichen Sektors, nämlich unsere Wissenschaftslandschaft, ist zugleich der mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen.

Das ist eine Schande, um es klar zu sagen. Diese Zustände sind nicht nur ungerecht, sondern darunter leidet auch die Qualität von Forschung und Lehre.

Das Land Berlin, namentlich der Regierende Bürgermeister und der Staatssekretär für Wissenschaft, haben sich in den Verhandlungen mit Bund und Ländern dafür eingesetzt, dass aus den Hochschulpaktmitteln zur Hälfte unbefristete Stellen eingerichtet werden müssen.

Auch die Bundesbildungsministerin war dafür.

Andere Landesregierungen hingegen lehnten Entfristungen ab – und deswegen wurde dieser Durchbruch verpasst. Ich hoffe, dass bis zur Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern am 6. Juni hier noch etwas zu machen ist.

Wir in Berlin haben jedoch nicht gewartet, bis andere Länder soweit sind. Diese Koalition hat das Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ zum Schlüsselthema dieser Legislaturperiode gemacht.

Wir haben die Trendwende für Gute Arbeit mit den Hochschulverträgen bereits eingeleitet. 35 Prozent der Stellen sind hier entfristet anzubieten.

Mit der kommenden Novelle des Hochschulgesetzes wollen wir weitere Schritte gehen, um die Personalstruktur zu modernisieren.

Nicht jeder und jede gute Wissenschaftlerin will und kann Professorin oder Professor werden. Wir werden eine dauerhafte Stellenkategorie schaffen, die eine selbständige wissenschaftliche Arbeit neben der Professur im Angestelltenverhältnis ermöglicht. Diese wird ein echter Durchbruch im bundesweiten Vergleich und ein klarer Standortvorteil für Berlin!

Mit diesen Dauerstellen gehen wir auch einen weiteren Schritt weg von der Orientierung auf einzelne Professuren mit ihrer Ausstattung hin zu Facultymodellen, wie sie sich etwa in den USA bewähren. Wissenschaft ist ein kollektiver, kein hierarchischer Prozess. Das müssen wir in den Strukturen abbilden!

Wir haben mit den Hochschulverträgen die Vergütung der Lehrbeauftragten massiv erhöht.  Aber das war nur der Anfang. Wir wollen zukünftig den Grundsatz „Dauerstellen für Daueraufgaben“ zum gesetzlichen Leitprinzip machen.

Lehraufträge sind ein gutes Instrument, um externes Wissen in die Lehre zu integrieren. Als Instrument zum billigen Füllen von Lücken in der Personaldecke jedoch sollen sie zukünftig nicht mehr eingesetzt werden.

Zum Schluss: gute Arbeitsbedingungen sind nicht das Ziel von Wissenschaft, sondern sie dienen einem Ziel – nämlich Wissen zu erarbeiten und weiter zu geben, das der Gesellschaft, das auch uns als Stadt nutzt.

Die Milliarden, die in die Hochschulen und Forschungseinrichtungen gehen, müssen sich natürlich immer vor allen legitimieren, deren Steuergelder da investiert werden.

Wissenschaft in Berlin ist kein Elfenbeinturm, der nur auf internationale Rankings fixiert ist.

Wir haben mit den Hochschulverträgen besonders die Studiengänge ausgebaut, die unsere wachsende Stadt braucht. Sozialpädagog_innen, Verwaltungsfachleute, Polizist_innen, Fachkräfte in der Pflege und nicht zuletzt Lehrerinnen und Lehrer.

Mit dem kommenden Doppelhaushalt bringen wir erstmals ein landeseigenes Förderprogramm auf den Weg, das die Forschung für die wachsende Stadt unterstützen soll. Ob Gesundheit, Mobilität, ob Klimaschutz, Wohnen oder Stadtentwicklung – wir wollen erkunden, welche Fragen die Forschung für unsere Stadt beantworten kann.

Jeder Berliner und jede Berlinerin soll wissen, dass wir in einer Stadt des Wissens leben und dass alle davon profitieren können. In einer Zeit, in der in anderen Ländern die freie Wissenschaft verfolgt und vertrieben wird, gehen wir den gegenteiligen Weg.

Wir öffnen das Wissen für alle. Wir leben die Freiheit der Wissenschaft. Ohne eine lebendige Wissenschaft ist Berlin nicht Berlin.