Soziale Infrastruktur zurückholen! Zur Besetzung der Berlichingenstraße 12 in Moabit.

Am Samstagmittag erhielt ich einen überraschenden Anruf: eine junge Frau informierte mich über die Besetzung der Berlichingenstraße 12 im Rahmen des „Herbstes der Besetzungen“ und forderte DIE LINKEN.Berlin auf, eine schnelle Räumung des Hauses zu verhindern. Ich machte mich sofort auf den Weg. Das Haus hat eine lange Vorgeschichte, war jahrzehntelang Unterkunft für wohnungslose Menschen. Vor etwa zwei Jahren hatten die Eigentümer dem Träger gekündigt, um mit Geflüchteten mehr Geld zu verdienen. Einige Obdachlose blieben jedoch und waren nicht bereit, für eine bessere Rendite ihre Unterkunft zu verlassen. Es folgte ein langer Rechtsstreit, an dessen Ende die Räumung stand. Die Bewohner_innen bekamen jedoch auch viel Unterstützung, Soli-Aktionen aus Zivilgesellschaft und Bezirkspolitik. Unter anderem deswegen verklagen die Eigentümer den Bezirk aktuell auf entgangene Mieteinnahmen.

Daran wird bereits deutlich, mit welcher Art Eigentümer man es im Fall der Gemeinschaft Korenzecher, Bialek und Koralinski zu tun hat. Die Besetzer_innen hatten ihrerseits einen „Konzeptversuch“ für die Nutzung als Obdachlosenunterkunft veröffentlicht.

Als ich vor Ort eintraf, war die Situation ruhig. Neben etwa 50 mit Musik und Popcornmaschine unterstützenden Demonstrant_innen waren auch Katharina Mayer (LINKE) und Taylan Kurt (Grüne) aus der BVV Mitte sowie Baustradtrat Ephraim Gothe (SPD) vor Ort. Auch die Polizei hatte bereits umfangreiche Einsatzkräfte aufgefahren.

Wir versuchten gemeinsam, die rechtlichen Hintergründe einer möglichen Räumung aufzuklären. Die Polizei hatte einen Räumungsantrag und eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs vom Anwalt der Eigentümer vorliegen. Die Identität und das Mandat des Anwalts wurden von der Polizei nach deren Angaben geprüft. Anwesend waren auch Vertreter einer Bau- und Hausverwaltungsfirma im Auftrag der Eigentümer, die sich dem Gespräch mit den Besetzer_innen und der Politik stellten. Auf meine Frage, wann denn das Haus wieder genutzt werden solle, hatten sie keine Antwort. Sie hatten auch kein Verhandlungsmandat, filmten aber sowohl die Diskussionen mit Demonstrant_innen als später auch die aus dem Haus geführten Besetzer_innen.

Ich nahm zudem Kontakt mit der Senatsinnenverwaltung auf. Diese sah keinen Ermessensspielraum, wenn die Eigentümer den Räumungsantrag und die Strafanzeigen nicht zurücknehme. Wir erreichten dann gemeinsam mit Stephan Rauhut von der Moabiter REFO-Kirche, der hinzu gekommenden Canan Bayram (Grüne) und Stadtrat Ephraim Gothe (SPD) den Vertreter der Eigentümer, Herrn Koralinskij, persönlich am laut gestellten Telefon. Dieser machte sehr deutlich, dass er eine sofortige Räumung  will und keinerlei Verhandlungsmöglichkeiten aus seiner Sicht bestünden. Dies hörte auch die Polizei mit und bereitete die Räumung vor. Unterdessen nahmen Stephan Rauhhut und ich Kontakt mit der Firma GIKON auf, dem Hostelbetreiber, der sich mit den Eigentümern aktuell um die Gültigkeit des Mietvertrages streitet. Aus Sicht von GIKON ist die Firma kein Mieter des Hauses mehr, so dass wir hier keinen Aufschub der Räumung erreichen konnten.

Wir konnten in Verhandlungen mit der Polizei zunächst erreichen, dass wir wenigstens als parlamentarische Beobachter die Räumung im Gebäude begleiten dürfen. Die Polizei begann jedoch bereits ohne unsere Beobachtung den verbarrikadierten Hintereingang aufzubrechen. Später durften Katharina Mayer und Canan Bayram kurz das Treppenhaus sehen und wurden dann wieder aus dem Gebäude geschickt. Ich durfte gar nicht rein, obwohl dies zugesagt war. Das war ein klarer Bruch der Absprachen, denn eigentlich war uns zugesichert worden, dass wir den Umgang der Polizei mit den Besetzer_innen beobachten können.

Die Polizei brauchte mehrere Stunden bis zum Einbruch der Dunkelheit um die vielfältigen Verbarrikadierungen im Haus  aufzubrechen und abzubauen. Die Besetzer_innen wurden in den Hof geführt, danach wurden die Personalien aufgenommen. Von vier Personen wurden auch die Fingerabdrücke genommen, dies geschah nach Aussage der Polizei, weil diese bereits bereits bei anderen Straftaten aufgefallen waren. Gegen 21 Uhr waren alle 13 Besetzer_innen frei und die Unterstützungsdemo löste sich langsam auf.

Was ist nun zu tun? Da das Gebäude offiziell als Gewerberaum deklariert ist, greift das Zweckentfremdungsverbot nach erster Prüfung nicht. Ich prüfe jedoch aktuell, ob wir gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Wohnen und dem Bezirksamt eine Gültigkeit der Milieuschutzverordnung vor Ort für das Gebäude geltend machen können. Dann käme auch die Nutzung eines Vorkaufsrechtes in Frage. Denn auch wenn das Gebäude als Gewerberaum deklariert ist, so wurde es eindeutig für Wohnen genutzt. Zudem unterliegen soziale Nutzungen wie etwa Trägerwohnungen ohnehin speziellen rechtlichen Grundsätzen. Ob dieser Weg Erfolg hat und das Haus ins öffentliche Eigentum oder zumindest in eine soziale Nutzung rücküberführt werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen.

Das Haus steht zu einem hohen Preis von mehr als 4000 Euro/qm bei einem Immobilienportal zum Verkauf. Inklusive Nebenkosten müsste eine Erwerber mehr als fünf Millionen Euro für eine nicht sanierte Immobilie hinblättern. Statt sozialer Nutzung steht der Profit im Vordergrund. Die Besetzer_innen haben auf das Problem der Zweckentfremdung von sozialer Infrastruktur aufmerksam gemacht. Wir, die Politik, müssen und werden handeln, um solch einem Geschäftsgebaren einen Riegel vorzuschieben.

Wir als LINKE setzen uns zudem bereits länger dafür ein, die vom Innensenator Heinrich Lummer (CDU) erfundene so genannte Berliner Linie aufzuweichen und bei spekulativem Leerstand Verhandlungslösungen mit Besetzer_innen zu suchen. Dazu hatte der Koalitionsausschuss von #r2g bereits im Juni einen ersten Kompromiss erreicht. Trotzdem ist auch festzuhalten, dass Leerstand nicht mehr das Berliner Wohnungsproblem ist. Leerstand von Wohnungen wird verfolgt und ist rechtswidrig – noch einmal verschärft durch die aktuelle Zweckentfremdungsverordnung. Gut, dass es Initiativen wie den Leerstandsmelder gibt, der für Berlin aktuell 1079 Objekte ausweist.   Das Wohnungsproblem in Berlin muss mit einem Dreiklang aus niedrigpreisigem Neubau, Kampf gegen Spekulation und Leerstand sowie Deckelung der Bestandsmieten gelöst werden. Insbesondere für Letzteres liegen die Instrument leider auf Bundesebene. Genau so wichtig, das zeigt die Berlichingenstraße 12,  wird zunehmend die Verteidigung von Gewerberäumen für soziale Infrastruktur, KiTas, Sozialträger, Jugendhiöfe etc. Hier bietet das Mietrecht noch weniger Möglichkeiten, das hat Berlin im Bundesrat angemahnt. Aber wir bleiben dran. Gemeinsam.