Häuser abreißen am Nordhafen

Wenn man man am Nordufer in die Innenstadt reinfährt, kann man sie noch sehen. Direkt hinter den neuen Bahnbrücken, im abgehängten Rest der Tegeler Straße stehen ein paar Altbauten, ganz typisch für Berlin. Nichts aufregendes, sondern einfach normaler Wohnraum für einfache Menschen mit Blick auf den Kanal und die sich drehenden Kräne der Europa-City. Doch was auf dem anderen Ufer für teuer Geld und hohen Mietzins neu errichtet wird, soll am Rand des Betriebsgeländes von Bayer-Schering abgerissen werden. Immer wieder wurden wir im Wahlkreisbüro im Sprengelkiez in den letzten Jahren wegen Leerstand angesprochen und haben dies mit dem Bezirksamt kommuniziert. In den letzten Wochen zeigten uns Mieter dann ihre Kündigungsschreiben. Wie kommt es dazu, dass hier trotz angespanntem Wohnungsmarkt bald die Abrissbirnen regieren soll?

An der Tegeler Straße
Noch kann man hier gut leben fRED

Zuerst schien alles nicht besonders spektakulär, die Häuser gehören einer Immobiliensparte des Bayer-Konzerns und stehen auf einer Fläche, die mal zur Erweiterung des Betriebsgeländes in den 60er Jahren als Gewerbefläche gewidmet wurde. Somit war der Bestandsschutz für Wohngebäude nur noch gegeben, solange Bayer selber an der weiteren Wohnnutzung interessiert ist. Eine Zweckentfremdung durch Leerstand kam also nicht in Frage, da es sich per Definition ja nicht um „Wohnraum“ handelte. Schade natürlich, dass der Chemieriese das Interesse an den Wohnungen scheinbar verloren hat. Es muss doch auch Mitarbeiter geben, die Schwierigkeiten haben erschwingliche Wohnungen in der Stadt zu finden. Und so richtig vollgestellt wirkt das Betriebsgelände nicht, dass man für neue Produktions- und Forschungsstätten nicht auch andere Lösungen finden könnte.

Tobias Schulze hat Kontakt zu den Standortverantwortlichen aufgenommen. Es ist immer besser gemeinsam am Tisch zu sitzen, wen man nach tragfähigen Lösungen sucht. Vielmehr als der Hinweis auf einen dreistelligen Millionenbetrag für Investitionen und die Absicherung von Arbeitsplätzen war allerdings nicht zu bekommen. Für uns wirft es schon Fragen auf, warum man bei solchen Investitionsvolumina keine sozialverträglichen Konzepte für betroffene Mieter organisieren kann. Die Bezirksverordnetenversammlung Mitte mit Unterstützung der Linksfraktion einen Dringlichkeitsantrag zur langfristigen Sicherung des Wohnraums verabschiedet.

In der Folge trudelten dann auch vermehrt Hinweise von Betroffenen bei uns ein und wir versuchten uns ein besseres Bild zu dieser Standortentscheidung zu machen. Wieso braucht Bayer plötzlich einen neuen Bürokomplex, um die Arbeitsplätze von tausenden Mitarbeiter zu sichern? Im Mai diesen Jahres hat Bayer für die stolze Summe von 100 Mio. Euro ein selbst genutztes Bürogebäude am selben Standort verkauft und im gleichen Moment einen halbwegs günstigen Mietvertrag mit dem neuen Besitzer abgeschlossen. Dieser ist allerdings nur mit einer kurzen Laufzeit versehen, da der neue Eigentümer ja langfristig nur mit höheren Mieteinnahmen sein Investment absichern kann. Die Konzernlenker haben selbst langfristig benötigte Arbeitsplätze für Immobiliengewinne aufs Spiel gesetzt, um jetzt nur mäßig verwertbaren Wohnraum an der Tegeler Straße abzuräumen und in neue Büroflächen zu investieren.

Zu Lasten der betroffenen Mieterinnen und Mieter werden hier offenbar Gewinne maximiert. Natürlich soll eine Stadt langfristig Gewerbeflächen, auch in der Innenstadt, sichern um Unternehmen genug Raum für eine nachhaltigen Entwicklung zu geben. Wenn, wie es hier offenbar geschehen ist, ohne Rücksicht auf Menschen gehandelt wird, die von einem auf den nächsten Tag um ihren Lebensmittelpunkt gebracht werden… dann kann eine soziale Stadtpolitik das nicht hinnehmen.