Eingreifen – statt sich »fisselig« haben Was kann die Linkspartei in Berlin? Für das Regieren als Teil des stadtpolitischen Instrumentenkastens. Gastbeitrag im Neuen Deutschland

Eingreifen – statt sich »fisselig« haben

Was kann die Linkspartei in Berlin? Für das Regieren als Teil des stadtpolitischen Instrumentenkastens. Ein Gastbeitrag von Tobias Schulze im Neuen Deutschland

Von Tobias Schulze

 

 

»Nun habt Euch mal mit dem Regieren nicht so fisselig!« rief die Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg, Doro Zinke, den Berliner LINKEN auf ihrem Landesparteitag entgegen, nachdem sie eine Generaldebatte über das Für und Wider eines möglichen Regierungseintritts verfolgt hatte. Sie konnte ganz offenbar nicht verstehen, wie eine Partei ihre Befindlichkeit über die Veränderungsnotwendigkeiten in der schlecht und unsozial regierten Stadt stellt. Natürlich sprach Zinke auch von Versäumnissen und Fehlern vergangener Regierungsarbeit unter Rot-Rot, die sie als Gewerkschafterin miterlebte. Nur würde sie offenbar nicht auf die Idee kommen, aus diesen Versäumnissen und Fehlern der Vergangenheit eine Absage an eine Regierungstätigkeit der LINKEN in der Zukunft zu schlussfolgern.

Und in der Tat: Diese Debatte über Enthaltsamkeit kann sich nur leisten, wer die politische Veränderungen in der Stadt entweder auch noch auf morgen oder auf übermorgen schieben kann oder die eigene Rolle auf die eines mehr oder weniger unbedeutenden Teils der linken Szene der Stadt reduziert. Trotzdem führen wir diese Debatte, jüngst in Form eines Offenen Briefes von jüngeren Parteimitgliedern.

Die Erwartungen der Bewegungen, der Gewerkschaften, der Zivilgesellschaft und empirisch zu beobachten auch die Erwartungen der meisten Wählerinnen und Wähler sind jedoch andere. Sie erwarten in der Regel von einer Partei, die zu Wahlen antritt, dass sie, wenn es dazu zahlenmäßig reicht, ihr Programm in die Tat umsetzt. Oder es mindestens versucht. Dass dabei in Koalitionen nie alles erreicht werden kann, wissen Wählerinnen und Wähler. Sie wissen auch, dass Programme mal Realitätsschocks erfahren. Und sie erwarten besonders von einer linkssozialistischen Partei, dass ihre Politik nicht nur in den kleinen Schritten der Alltagspolitik verharrt, sondern eine gesellschaftliche Alternative stärkt und mit formuliert. Aber, dass eine Partei aus Angst, sie könnte nicht genug erreichen, nicht einmal in die Auseinandersetzung um Macht und Gestaltung geht, das dürfte für die meisten außerhalb des diskursiven Kosmos der LINKEN unverständlich sein.

Das Argument, auch eine gute Oppositionsarbeit samt von LINKS unterstützter Volksbegehren, sei viel wert und die gewonnene Glaubwürdigkeit dürfe nicht durch schlechte Regierungsarbeit verspielt werden, ist richtig. Es spricht allerdings nicht gegen eine Regierungsoption, sondern gerade für einen neuen Modus guten Regierens. Und dafür, diese Aufgabe als Aufgabe der ganzen Partei engagiert anzugehen und sich auf die Umsetzung der selbst gesetzten Ziele zu konzentrieren. Denn wenn man es ernst meint mit dem eigenen Programm, ist ein Verzicht auf wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten, die auch eine Landesregierung hat, nur schlecht zu erklären. Dabei ist klar: ein Regierungseintritt darf nicht das Ende aktiver, widerständiger und konstruktiver Parteiarbeit sein, sondern muss ihr Katalysator für eine größere Wirkungsmacht werden. Dies gilt auch für die Zusammenarbeit mit Bewegungen, Initiativen und der organisierten Zivilgesellschaft,

Die Demonstration eigenständigen Profils und politischer Handlungsfähigkeit der LINKEN sollte denn auch in den Mittelpunkt des Wahlkampfs rücken. Obwohl die rot-schwarze Koalition die unbeliebteste Landesregierung Deutschlands stellt, gibt es bisher keine Wechselstimmung, keine Antistimmung gegen die SPD oder Michael Müller. Die Menschen trauen der Stadtpolitik insgesamt nicht viel zu – weder zum Positiven, noch zum Negativen. Die Dynamik der Metropolenentwicklung verändert die Stadt auch ohne politisches Zutun. Der rot-schwarze Senat ist da nicht nur Vertreter »neoliberaler Interessen« (Visser, Benda et al.) , er sündigt doch vor allem durch Unterlassen – beim LaGeSo, bei der Kinderarmut, beim Mietspiegel, bei der Integrationspolitik, bei der S-Bahn, bei der Flüchtlingsunterbringung und bei fast allen wichtigen Problemen der Stadt.

Eine rot-rote oder rot-rot-grüne Option entfaltet dann auch nicht die Anziehungskraft eines umfassenden alternativen »Projektes«. Eher geht es um eine planvollere, eine sozialere, eine den Zusammenhalt stärkende Regierung dieser Stadt – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Eine Dreierkonstellation wird ohnehin unsere Fähigkeit zur Durchsetzung und Eigenprofilierung, aber auch zum Kompromiss auf die Probe stellen.

Für DIE LINKE zugkräftig und in der stadtpolitischen Lethargie mobilisierungsfähig können daher zur Abgeordnetenhauswahl nicht Konstellationen, sondern allein LINKE Inhalte und Ideen als Alternative zur planlosen und unsozialen Koalition sein. Diese werden umso glaubwürdiger, je eher uns die Menschen ihre Umsetzung zutrauen. Dazu müssen wir uns die Umsetzung erstmal selbst zutrauen. Ernsthaftigkeit, Kreativität und Kampfeslust sollten unseren Wahlkampf tragen. Wir können regieren, aber wir tun das nur, wenn wir die Stadt sozialer gestalten können, wenn wir unsere linke Handschrift in die Regierungsarbeit tragen können. Die SPD ist im Wahlkampf politische Konkurrenz, der man ihre Versäumnisse vor die Nase halten muss – was sonst. Sie hat kein Problem mit Taktik für die eigene Machtbasis, auch gegen mögliche Koalitionspartner – wir sollten dieses Problem auch nicht haben.

Die Skeptiker von Regierungsverantwortung wollen mit dieser Begründung harte Kriterien für einen Ein- bzw. Nichteinstieg in ein Regierungsbündnis im Wahlprogramm definieren – etwa 10.000 zusätzliche Stellen im öffentlichen Dienst oder 100.000 neue Wohnungen. An sich können knackige und quantitativ untersetzte politische Ziele sowohl im Wahlkampf und als auch bei Verhandlungen die eigene Position stärken. Diese Funktion erfüllen solche Ziele allerdings nur, wenn sie eine echte Chance auf Umsetzung haben. Dazu müssen sie gut vorbereitet sein: wir brauchen eine politische Verlaufsform, zumindest die Idee einer Haushaltsuntersetzung und die Debatte von Risiken und Nebenwirkungen. So lange all dies fehlt, kann man mit dem Beschluss solcher »Haltelinien« lediglich mögliche Sondierungen erschweren, aber der Durchsetzung der eigenen Ziele nicht zum Erfolg verhelfen. Was also an Konkretion in der Programmarbeit bisher nicht geleistet wurde, wird durch das bloße Hineinstimmen ins Wahlprogramm noch nicht zur materiellen Gewalt. Hilfreicher erscheint hier, bis zur heißen Wahlkampfphase aus der Breite des Programms heraus eine Anzahl konkreter untersetzter Kernpositionen entwickelt werden, die im Wahlkampf mobilisieren und idealerweise auch in Sondierungen tragen und abrechenbar sind. Das Gehirnschmalz dafür ist sicher gut angelegt – und es könnten auch Konzepte für 10.000 Stellen und 100.000 Wohnungen dabei herauskommen.

Die Skeptiker verweisen zudem auf die dramatischen Stimmverluste der PDS bzw. der LINKEN zwischen 2001 und 2011. Die Partei wurde a.) gleich im ersten Jahr laut Umfragen auf ihr Kernwählerklientel zurück gestutzt und hat b.) sich aus diesem Tief nicht mehr dauerhaft herausarbeiten können.

Meine These ist allerdings, dass dieser zweite Teil, die mangelnde aktive Profilierung des kleineren Koalitionspartners PDS/LINKE entscheidende Anteile an den langjährigen schlechteren Wahlergebnissen auf Landesebene haben, nicht ausschließlich die vermeintlichen »Verbrechen« des ersten und zweiten Regierungsjahres. Anders ist kaum zu erklären, warum beispielsweise so viele WählerInnen ausgerechnet zur SPD oder zu den kaum besonders linken Piraten abwanderten. Oder warum ausgerechnet einer der wichtigsten Protagonisten von Rot-Rot mit spannenden Wahlkämpfen wiederholt überraschend das Direktmandat für den Bundestag in Pankow gewann. Und nicht zuletzt: je nach Umfrage sind wir auch heute für die Landesebene eben nicht deutlich über den Ergebnissen von 2006 und 2011 gehandelt. Die bloße Oppositionsrolle ist offenbar keineswegs ein Selbstläufer. Schlichte Erklärungsmuster entlang der innerparteilichen Strömungskonstellationen von vermeintlich »karrieristischen« und »bewegungsorientierten« LINKEN lassen sich aus meiner Sicht anhand der Empirie nicht ausreichend belegen.

Wir haben vielmehr ein Problem mangelnder gesellschaftlicher Verankerung: die Menschen, das haben auch Wählerbefragungen gezeigt, wissen zwar grundsätzlich etwas zum sozialen Profil, aber zu wenig von der aktiven Politik der Berliner LINKEN – ob in Regierung oder in Opposition. Insofern stimmt die Analyse des Kritikerpapiers, dass unsere Regierungserfolge so schnell rückabgewickelt werden konnten, weil sie zu wenig Rückhalt hatten. Aber daraus sollte doch folgen, diesen Rückhalt für unsere Projekte zu erwerben und diese besser zu verankern, und nicht das Regieren sein zu lassen.

Bei der Sichtbarkeit und Kenntlichkeit spielt eine aktive Mitgliedschaft neben der medialen Präsenz des Führungspersonals eine entscheidende Rolle. Und das Zusammenspiel von Partei, Basis und Gremien, sowie den Akteuren in Parlament und Regierung soll und kann zukünftig besser funktionieren als bis 2011. Der Professionalisierung der Verantwortungsträger stand damals eine immer weniger einbezogene und oft demobilisierte Basis gegenüber. Um das diesmal besser zu machen, sind allerdings beide Seiten gefragt: Die Partei muss ganz klar der Ort der Debatte über die Ziele und Methoden ihrer Arbeit sein – und zwar ohne gegenseitige Unterstellungen und Vorverdächtigungen. Das beginnt bereits beim Einstieg in mögliche Verhandlungen, die mit einem Mitgliederentscheid über das Verhandlungsergebnis enden sollen. Und es wird bei Basiskonferenzen zu größeren Regierungsvorhaben nicht enden. Harald Wolf empfiehlt, bei einem erneuten Regierungseintritt eine kluge Arbeitsteilung zwischen der Partei »außerhalb« und der Partei »innerhalb des Staatsapparates« zu entwickeln.

Die Regierungsakteure sind dabei auch, aber nicht alleine in der Bringschuld. Zum einen sind deren Kräfte endlich, zum anderen ist die eigene Partei nur ein Bezugspunkt ihrer Arbeit als Verwaltungsleiter für das ganze Gemeinwesen. An SenatorInnen und StaatssekretärInnen zerren vielfältige Kräfte und Interessen. Ihre Aufgabe wird es jedoch sein, durch ihre Arbeit nicht nur für die Stadt, sondern auch für die Partei einen Mehrwert zu erzielen. Die Aufgabe der Partei hingegen ist es, bei klarer eigener Profilierung sich auf die Vielfalt der Interessen in der Stadtpolitik, auf begrenzte Rahmenbedingungen der Landespolitik und damit auf die Komplexität der politischen Gemengelage einzulassen. Die Partei muss aktiv, kreativ und eigenständig bleiben. Und der Landesvorstand sowie die Fraktion müssen Kommunikation und Vermittlung organisieren. Wenn dies gelingt und alle an einem Strang ziehen, kann DIE LINKE gestärkt und besser verankert aus einer Regierungsperiode hervorgehen. Wer dafür einen Beweis braucht, der schaue nach Thüringen (und nehme die dortigen Debatten zur Kenntnis, zum Beipsiel hier).

Die Chancen für ein erfolgreiches linkes Regieren stehen besser als 2001: zum einen hat sich die Lage der Stadt verändert. Zentrales Thema heute ist nicht mehr ein vollkommen aus dem Ruder gelaufener Landeshaushalt, der jedes Jahr neue Milliarden auf den Schuldenberg schaufelt. Die Großaufgabe heute ist, auf das exorbitante Bevölkerungswachstum durch zu schaffende Möglichkeiten der Teilhabe von allen durch sozialen Ausgleich zu reagieren. Diese Großwetterlage ist zwar nicht unbedingt einfacher zu bewältigen, aber ihre Fragen passen deutlich besser zu linken Antworten.

Damit zusammenhängend erleben wir mindestens eine Krise, wenn nicht sogar das Ende neoliberaler Hegemonie. Das heißt natürlich nicht, dass die Fliehkräfte kapitalistischer Metropolenentwicklung nicht mehr wirksam wären – im Gegenteil. Aber das diskursive Bewusstsein, dass der Selbstlauf von Markt und Wettbewerb, dass ein schwacher Staat und die Herrschaft des ökonomisch Stärkeren alles zum Guten wenden, dieses Denken hat sich vorerst in kleine Nischen seiner unmittelbaren Profiteure zurückgezogen. Und auch das Wertegerüst der LINKEN steht nach den Debatten um ihre Grundsatzprogrammatik ausgearbeiteter und gefestigter da als noch 2001. Unwahrscheinlich erscheint, dass wie damals in Dresden oder in Berlin Wohnungsverkäufe noch als Instrument der Haushaltssanierung in Frage kommen.

Legen wir also die Fisseligkeiten, wie Doro Zinke sagte, ab und greifen ein – in den Wahlkampf und, so wir den Rückhalt der Wählerinnen und Wähler und den unserer Mitglieder dafür bekommen, noch mehr als bisher in das politische Schicksal Berlins.

Tobias Schulze ist Mitglied des Landesvorstands der Berliner Linkspartei.