Warum ich für einen erneuten Regierungseintritt der LINKEN in Berlin werbe.

Ab heute läuft der Mitgliederentscheid der LINKEN in Berlin über einen Eintritt in eine Koalition mit SPD und Grünen. Es sind laute Stimmen gegen einen Regierungseintritt vernehmbar, zum Teil, weil man schon immer gegen Regierungsbeteiligungen der LINKEN war wie in Neukölln, zum Teil aus konkreter fachpolitischer Erwägung im Bereich Stadtentwicklung und Wohnen heraus wie meine geschätzte Abgeordnetenkollegin Katalin Gennburg.

Ich werbe bei allen Schwierigkeiten und großen Herausforderungen klar für ein Ja beim Mitgliederentscheid.

Andrej Holm schrieb auf seinem Blog, Berlin habe einen besseren Koalitionsvertrag verdient. Da hat er in jedem Fall recht. Das Problem: es liegt kein besserer vor, sondern nur dieser. Einen besseren wird es nicht geben, sondern mit Blick auf die Alternativen eher deutlich schlechtere aus Sicht einer sozialen Stadtpolitik.

Die Frage ist also, ob für eine soziale Stadtpolitik, auch für die Umsetzung des Volksentscheids etwas gewonnen ist, wenn unsere Partei sich in die Opposition begibt und das Feld von Senatsmehrheiten anderen überlässt.

Wie so oft ist Politik auch an dieser Stelle das Management verschiedener Dilemmata. Es geht um Abwägungsentscheidungen zwischen auf einem schmalen Grat zwischen Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit auf der einen Seite und dem Willen, reale Verbesserungen und die Umsetzung unserer Programmatik zu erreichen auf der anderen.

Alle der etwa 75 Genossinnen und Genossen, die an den Verhandlungen in Fach- und Dachgruppen beteiligt waren, werden bestätigen, wie kompliziert diese waren. Beide Verhandlungspartnerinnen waren unter anderen Vorzeichen als 2016 in die Verhandlungen gegangen. Die Grünen mit einem deutlich größeren Selbstbewusstsein – zwar nicht als Wahlsiegerin, doch aber als Gewinnerin. Die SPD mit einem klaren inhaltlichen Schwenk und einer Spitzenkandidatin, die sich von r2g klar absetzte. Und wir in neuer Rolle als kleinste Verhandlungspartnerin. Dass wir als LINKE erst in letzter Sekunde überhaupt die Chance bekamen, in Gespräche einzutreten, hat uns selbst durchaus überrascht. Für viele Beobachter galt die Ampel als gesetzt.

Anders als 2016 wurde in den Verhandlungen kein Projekt beschworen, sondern mehr denn je um ein konkretes Programm für die kommenden fünf Jahre gerungen. Nach den Erfahrungen mit dem sehr anspruchsvollen, manchmal zu unkonkreten und nicht immer umgesetzten Vertrag der letzten Koalition ging es diesmal auch um die Frage von Praktikabilität und Finanzierbarkeit. Natürlich hatten auch von diesen beiden Kriterien jede der drei Parteien ihre eigenen Vorstellungen.

Im Ergebnis verhandelten insbesondere in der Dachgruppe alle drei Parteien stark auf eigenes Ticket, das eigene Profil und die eigene Sichtbarkeit. Ein Modus, der vermutlich eine eventuelle Regierungsarbeit der kommenden Jahre prägen wird. Der Verhandlungen waren rauh und standen mehrfach vor dem Scheitern. Sie brachten mit 16-Stunden-Sitzungen, Auszeiten und vielen Terminschiebungen viele an den Rand ihrer Kräfte. Was als Koalitionsvertrag im Ergebnis herauskam, ist ein kleinster gemeinsamer Nenner, um dessen Umsetzung, Interpretation und Ausgestaltung auch in den kommenden Jahren gerungen werden muss.

Unsere Fachleute, aber auch die acht Menschen in der Dachgruppe haben trotzdem viel erreicht. Dabei ging es um eigene LINKE Projekte wie auch das Abwehren schwieriger Vorhaben der anderen beiden.

  • Ich habe selbst vor den Wahlen die Umsetzung eines erfolgreichen Volksentscheids „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ als einen zentralen Gebrauchswert unserer Partei bei dieser Wahl markiert. Dass hier unser absoluter Schwerpunkt und der größte Konflikt bei den Verhandlungen lag, war klar. Die SPD hält den Volksentscheid weiterhin für verfassungswidrig und auch für politisch falsch. Kein Wunder, war es doch ausschließlich dem monatelangen Kampf unserer Senator:innen zu verdanken, dass die Innenverwaltung ihn überhaupt zur Abstimmung zugelassen hat. Wir als LINKE griffen den Vorschlag von Andrej Holms auf, angesichts dieser Gemengelage eine überparteiliche Sozialisierungskommission einzuberufen, und die mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zu betrauen. Soweit wollten SPD und Teile der Grünen jedoch nicht gehen, sondern sehen den Senat in der Pflicht. Insbesondere die SPD bestand darauf, dass die Verfassungsmäßigkeit des Sozialisierungsvorhabens geprüft wird. Wir bestanden darauf, dass die Kommission konkrete Wege zu einer verfassungsgemäßen Umsetzung der Vergesellschaftung erarbeitet. Und dass die Initiative an dieser Kommission angemessen beteiligt werden muss.  Die Zusammensetzung der Kommission und ihre Arbeitsweise wird das Kampffeld der kommenden Wochen. Es verwundert übrigens nicht, dass die Wohnungswirtschaft ein schnelles Gesetz will. Sie gehen davon aus, dass ein solches ohnehin vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert und wollen schnell Sicherheit für Investoren. Wir sollten uns die Zeit nehmen, die verschiedenen möglichen rechtlichen und organisatorischen Konstruktionen auf ihre Festigkeit in einer verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung zu prüfen und die beste auszuarbeiten. Wir wollen den Erfolg und vor allem den Bestand eines Vergesellschaftsungsgesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn das klappt und ein Weg zur Anwendung des Artikel 15 GG gefunden ist, konnte Berlin Unabschätzbares für eine linke Alternative zum Kapitalismus leisten. Und was, wenn wir in die Opposition gehen? Keine andere Konstellation würde diesen Volksentscheid angemessen umsetzen. Das heißt, es bliebe nur der Weg über ein erneutes Volksbegehren – diesmal mit einem konkreten Gesetzentwurf. Auch dieser würde dann wieder vom Senat auf Verfassungsmäßigkeit geprüft – allerdings dann von einem Ampel- oder Deutschland-Koa-Senat. Und die linke Bewegung dieser Stadt müsste sich entscheiden, diesen Weg über mehrere Jahre erneut zu gehen. Ich halte es angesichts der berechtigten Erwartungen der Menschen in dieser Stadt nicht für vermittelbar, wenn wir uns jetzt in die Opposition zurückziehen und den aufgemachten Weg der Umsetzung, so schwierig und ungenügend er ist, nicht nutzen, sondern auf ein neues Volksbegehren setzen.

 

  • Ich werbe aber auch dafür, sich den Vertrag in Gänze anzuschauen. Immer wieder werden wir gefragt, was denn ohne DIE LINKE nicht in diesem Vertrag stünde. Und es sind viele Vorhaben enthalten, die auf uns zurückgehen. Einige Beispiele:
    • Wir sichern den Mietendeckel bei den Landeseigenen Wohnungsgesellschaften mit ihren deutlich mehr als 300.000 Wohnungen. Um die Neubautätigkeit und Handlungsfähigkeit der Landeseigenen zu erhalten, wird es weitere Kapitalzuflüsse geben.
    • Beim Kooperativen Baulandmodell konnten wir eine Erhöhung des geförderten Anteils in Form einer Ausweitung eines mittleren Preissegments erreichen. Auch hier müssen wir weiter ringen, damit wir näher an das Münchener Modell mit 60 Prozent insgesamt gefördertem Anteil kommen.
    • Das Vorhaben der Kommunalisierung der S-Bahn, das als einziger Weg sichert, dauerhaft ohne Auschreibungen auszukommen. Je eher wir die S-Bahn bekommen, umso eher können wir die entsprechenden Weichen zu einer Direktvergabe stellen. Es bleibt die Frage, was wir tun, wenn sich im Ausschreibeverfahren abzeichnet, dass eine andere Bewerberin als das Konsortium mit der Deutschen Bahn zum Zuge kommen könnte. Auch in diesem Fall haben wir als Regierungspartei deutlich mehr Handlungsmöglichkeiten als aus der Opposition heraus.
    •  Die Erfolge der Krankenhausbewegung, Tarifverträge für Entlastung und Tarifvertrag für die Töchter bei Vivantes, müssen finanziell abgesichert werden. Hier konnten wir erreichen, dass sich die Koalition insbesondere zur Absicherung von Vivantes als öffentlichem Unternehmen bekennt und den Ausfall von Einnahmen und mehr Personalausgaben absichert. Eine Privatisierung wird ausgeschlossen.
    • Wir haben den weiteren Aufwuchs von Studienplätzen im Bereich Lehrkräfte durchgesetzt, ohne den der bisherige Mangel nicht zu beheben ist und der vom Bündnis „Schule muss anders“ gefordert wurde. Die Schulreinigung wird schrittweise rekommunalisiert.
    • Um gegen Racial Profiling vorzugehen, ist ein explizites Verbot im ASOG vereinbart sowie eine Quittung mit Name, Ort und Grund einer Personenkontrolle in einem kriminalitätsbelasteten Ort (kbO) nach Bremer Vorbild.
    • Den von Elke Breitenbach konzipierten Masterplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit bis 2030 macht sich die Koalition zu eigen und geht in die Umsetzung. Dazu gehört natürlich auch der Ausbau der AV Wohnen, der Transferleistungsempfangenden eine Refinanzierung steigender Mietkosten ermöglicht.

Dies sind nur einige Beispiele. Natürlich konnten wir nicht alles durchsetzen, manches teilweise, abgeschwächt, anderes gar nicht. Wir mussten auch bitte Kröten schlucken, ganz besonders bei der Ressortverteilung. Dass wir das profilbildende Ressort Stadtentwicklung und Wohnen abgeben müssen, schmerzt. Und angesichts der inhaltlichen Vorhaben und Ansätze, die die SPD-Seite in diesem Bereich in die Fachverhandlungen eingebracht hat, wird der Koalitionsvertrag, der hier Begrenzungen einzieht, umso wichtiger.

Das Ressort Justiz und Antidiskriminierung  ist natürlich kein adäquater Ersatz. Wir hätten für einige andere Ressorts tolles Personal und gute inhaltliche Vorstellungen gehabt. Andererseits: mit Kultur/Europa und Integration/Arbeit/Soziales haben wir zwei profilbildende Ressorts herausverhandelt und mit Klaus Lederer und Katja Kipping stehen dafür tolle Menschen zur Verfügung. Und wenn das dritte Ressort nicht unser Wunschressort war, heißt es auch hier. Trotz der Demütigung durch SPD und Grüne in den Verhandlungen birgt es Chancen: nicht zuletzt bei der Umsetzung des Volksentscheids, an der das Justizressort beteiligt ist, und im Bereich Antidiskriminierung.

Ja, Berlin hätte einen besseren Koalitionsvertrag verdient. Berlin hätte auch andere Wahlergebnisse verdient. Für uns als LINKE geht es jetzt um die Frage, ob wir unsere Ziele in einer Koalition besser umsetzen können oder als parlamentarische Opposition. Ob wir stärker werden, wenn wir jetzt die Verantwortung ablehnen.

Ich glaube nicht daran.

Es besteht immer die Gefahr, dass man in der Regierungsarbeit Fehler macht oder an schlechten Rahmenbedingungen scheitert und an Zustimmung verliert. Die Gefahr besteht auch in der Opposition, wie wir gerade eindrucksvoll im Bund vorgeführt bekommen haben. Aber die Chance, dass man Dinge umgesetzt bekommt, die man mit den Menschen entwickelt und verabredet hat, die sind deutlich größer. Und die Relevanz steigt, wenn wir uns nicht auf die Oppositionsrolle beschränken lassen. Es sind nicht zuletzt viele der sozialen Bewegungen, die von uns erwarten, dass wir uns nicht aus der Verantwortung ziehen und der FDP von Sebastian Czaja das Feld überlassen. Die Entscheidung ist sehr konkret.

Der Kampf, das zeigt auch die letzte Legislaturperiode, ist mit dem Koalitionsvertrag nicht beendet. Damit fängt er an. Es ist nicht gesagt, dass wir ihn volle fünf Jahre durchstehen, dass wir nicht auf Konflikte stoßen, die ein Weiterregieren schwierig oder unmöglich machen. Aber wir sollten diesen Kampf nicht schon vorher absagen.