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„Europäische Forschungsförderung: was nützt sie uns in Berlin?“ – Vortrag

Auf Einladung der Initiative Bürger Europas e.V.  durfte ich vor einigen Tagen in der Beuth-Hochschule mit Schüler_innen und Auszubildenden über europäische Forschungspolitik diskutieren. Nach meinen Input, den ich hier im Manuskript dokumentiere, gab es eine lebhafte Debatte über europäische Solidarität, über Regulierung des Digitalen und die Grenzenlosigkeit von Wissen.

 

 

-Manuskript-

Europäische Forschungsförderung: was nützt sie uns in Berlin?

 

1.       Wissenschaft und Forschung sind international.

Wissenschaft und Forschung sind schon längst nicht mehr in nationalen Grenzen zu denken. Forscherinnen und Forscher leben vom Austausch, vom Wettbewerb, aber auch von der Kooperation. Forschungsergebnisse werden publiziert, um überall auf der Welt gelesen zu werden. Es geht darum, die Qualität von Forschung zu prüfen, oder auch darum, Forschungsergebnisse zu widerlegen.

Ohne den Austausch, die Kenntnis der wissenschaftlichen Erfolge ist eine Weiterentwicklung des Wissens nicht denkbar: „Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“ schrieb der englische Naturforscher Isaac Newton schon 1676 in einem Brief. Er meint damit, dass der wissenschaftlicher Fortschritt oder bahnbrechende Erfindungen nicht aus dem Nichts entstehen, sondern in der Regel eine genaue Kenntnis bisheriger Veröffentlichungen zum selben oder ähnlich gelagerten Thema verlangen. Dies gilt umso mehr in der Moderne, also in entwickelten Industriegesellschaften von heute.

Nicht mehr einzelne Universalgelehrte bestimmen das Bild, sondern Millionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in vielen spezialisierten Fachgebieten. Kommunikation und Austausch sind wichtiger denn je.

2.       Europäischer Forschungsraum

Diese Entwicklung allein würde schon reichen, um den Gedanken eines europäischen Forschungsraumes zu begründen. Aber die Europäische Union gründete sich zuallererst als Wirtschaftsverbund. Das Ziel der Römischen Verträge 1958 war zunächst, die großen Industriestrukturen näher zusammen zu bringen: Kohle, Stahl und auch die im Entstehen begriffene Atomindustrie. In diesen Einzelverträgen waren bereits erste gemeinsame Fördermöglichkeiten für Forschung und Wissenschaft enthalten. In den 60er und 70er Jahren entstanden dann gemeinsame Institutionen: zuallererst das Nuklearforschungszentrum CERN mit Sitz in der Schweiz.

Am CERN ist zweierlei zu sehen:

Erstens: es geht hier um große Forschungsgeräte der Grundlagenforschung.  Im Fall des CERN um Teilchenbeschleuniger, in denen die Reaktionen von Atomen, Protonen, Neutronen oder ähnlichen Teilchen unter enormen Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit und bei Kollisionen getestet werden. Man versucht damit etwa, Prozesse des Urknalls zu rekonstruieren und damit die Entstehung unseres Universums.

Warum macht eine europäische Zusammenarbeit bei großen Geräten und Infrastrukturen Sinn? Um sich die Kosten zu teilen und solche Geräte gemeinsam zu nutzen.  Am CERN gibt es etwa eine 27 Kilometer lange unterirdische Teilchenbahn mit entsprechenden Sensoren. Die Daten aus diesen Sensoren brauchen eine riesenhafte Rechenkapazität, um sie auszuwerten. All dies kostet extrem viel Geld, das ein kleines Land wie die Schweiz kaum aufbringen kann (erst recht nicht osteuropäische Beitrittsstaaten und dessen gemeinsame Nutzung sinnvoll ist.

Zweitens: die Schweiz gehört nicht zur Europäischen Union. Die Entwicklung des europäischen Forschungsraums ist also größer zu denken als in den Grenzen der EU. Viele Länder der nicht der EU angehören, engagieren sich bis heute im Europäischen Forschungsraum.

Also: gemeinsame Industrieforschung und der gemeinsame Bau und die Nutzung von teuren und großen Infrastrukturen waren die ersten Treiber des europäischen Forschungsraumes.

3.       Europäische Rahmenprogramme

In den 80er Jahren kam man zu der Erkenntnis, dass die verstreut laufenden europäischen Projekte zur Forschungsförderung zusammengefasst werden sollten. Aus der Forschung, aber auch aus der Politik kam nämlich die Kritik, dass diese zu unübersichtlich, zu kurzfristig und zu wenig strategisch koordiniert liefen. Und so wurde 1984 das erste europäische Forschungsprogramm aus der Taufe gehoben. Es war auf vier Jahre angelegt und umfasste ein Volumen von 3,75 Milliarden Euro. Im Vergleich zu heute war das verschwindend gering: das aktuelle achte Rahmenprogramm läuft sieben Jahre bis 2020 und hat 77 Milliarden Euro zu verteilen.

Daran zeigt sich: die Bedeutung der Forschung innerhalb des EU-Haushaltes ist stetig gestiegen. War das Thema zu Gründungszeiten der EU eher ein Randthema, nimmt es heute eine bedeutenden Teil ein. Knapp 15 Prozent des Haushalts werden heute Forschung und Technologie ausgegeben.

4.       was genau Fördert die EU?

In der Forschungsförderung der EU stand lange Zeit der Nutzen der Forschung für Industrie und Wirtschaft im Mittelpunkt. Diesen Fokus kann man bis heute sehen. Etwa ein Drittel der Fördermittel aus der Forschungsförderung gehen direkt an die Industrie.

Viele der EU-Forschungsprogramme werden bis heute auf die Industrie zugeschnitten, obwohl mittlerweile mehr als die Hälfte der Mittel an akademische Einrichtungen gehen.  Es gibt Förderlinien für Pharma-, für die Automobilindustrie, die Flugzeugindustrie, für die Raumfahrt, für die Rüstungs- und Sicherheitsbranche, für die Agrarindustrie, für die Energiekonzerne usw. Hier wird die Kooperation von Hochschulen und Forschungsinstituten mit Unternehmen gefördert. An dieser Stelle habe ich ganz klare Kritik an dem, was etwa im Rahmen der Joint Technology Initiatives JTI  über die Europäische Union gefördert wird.

Da geht es etwa um Medikamentenentwicklung, um die Entwicklung neuer Flugzeugturbinen oder autonomer Fahrzeuge oder um die IT-Technologie. Die großen europäisch organisierten Industrieverbände dealen mit der Europäischen Kommission, was gefördert werden könnte.

Aus meiner Sicht handelt es sich hier um Subventionen, denn diese Konzerne wäre in der Regel auch ohne Steuergeld in der Lage, diese Forschung zu finanzieren. Aber Subventionen sind nach EU-Wettbewerbsrecht nur in wenigen Ausnahmen erlaubt, Forschung gehört dazu. Selbst die Bundesregierung hat hier immer wieder mehr Transparenz angemahnt. Es ist beispielsweise unklar, ob und wie die Industrie die zugesagten Eigenmittel zur Verfügung stellt. Auch das Land Berlin hat die zu starke Orientierung auf Industrieinteressen kritisiert.

Und da kommen dann auch echte Verschwendung und nutzlose Entwicklungen heraus wie die Hunderte Millionen, die in die Unterstützung der Brennstoffzelle gesteckt worden sind. Obwohl sich diese nie durchsetzt.

Zwei von drei Förderlinien heißen:

„Führende Rolle der Industrie“

Wirtschaftlich getriebener Schwerpunkt mit Maßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Wirtschaft zur Steigerung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zugeschnitten sind.

Technologien im Fokus sind hier unter anderem Informations- und Kommunikationstechnologien, Nanotechnologie, Materialforschung, Biotechnologie, und Fertigungstechnik.

Gefördert werden aussichtsreiche Forschungsergebnisse über die wissenschaftliche Publikation hinaus bis zur Umsetzung in marktfähige Produkte oder Dienstleistungen.

Die Antragstellung erfolgt in der Regel im Verbund mit Unternehmen, federführend durch die Industrie.

„Gesellschaftliche Herausforderungen“

Politisch getriebener Schwerpunkt mit Themen, die hauptsächlich im Rahmen von internationalen Verbundforschungsprojekten mit vielen Kooperationspartnern behandelt werden sollen.

Zu sieben Schwerpunktthemen gibt es Arbeitsprogramme und darin enthaltene Ausschreibungen:

·       Gesundheit, demografischer Wandel und Wohlergehen

·       Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit, nachhaltige Land- und Forstwirtschaft, marine, maritime und limnologische Forschung und Biowirtschaft

·       Sichere, saubere und effiziente Energie

·       Intelligenter, umweltfreundlicher und integrierter Verkehr

·       Klimaschutz, Umwelt, Ressourceneffizienz und Rohstoffe

·       Europa in einer sich verändernden Welt: integrative, innovative und reflektierende Gesellschaften

·       Sichere Gesellschaften – Schutz der Freiheit und Sicherheit Europas und seiner Bürger

Neben diesen genannten Industrieforschungen werden aber aktuell themenoffen auch echte Grundlagenprojekte gefördert, von denen Berlin (arm an Industrie, reich an Wissen) besonders profitiert.  So werden einzelne besonders gute Forscherinnen und Forscher gefördert, die zum Beispiel aus dem Ausland nach Berlin kommen. Das ist eine Chance gerade für Menschen aus osteuropäischen Beitrittsstaaten, sich zu beteiligen.

Die gilt auch für Studierende, die sich ins europäische Ausland bewegen!

5.       Europäische Forschung in Berlin

220.000 Menschen studieren oder arbeiten in Berlin in der Wissenschaft – sie stellt direkt 50.000 Arbeitsplätze .

Aus dem 7. Forschungsrahmenprogramm im Förderzeitraum 2007 bis 2013 erhielt Berlin insgesamt Zuwendungen von fast 585 Millionen Euro für 1.500 Projektbeteiligungen, das sind fast 100 Mio. pro Jahr.

Die Berliner Hochschulen konnten etwa 216 Millionen Euro an EU-Fördergeldern einwerben, die Forschungseinrichtungen ca. 240 Millionen Euro. Dieser Trend setzt sich im Nachfolgeprogramm Horizont 2020 fort. Zur Halbzeit des Programmes gingen bereits 312 Millionen Euro nach Berlin.

An jeder Einrichtung gibt es europäische Forschungsprojekte. Allerdings: die Antragstellung ist aufwändig, große Projekte haben deutlich bessere Chancen als kleine. Von 8 eingereichten Anträgen werden 7 abgelehnt. Trotzdem haben für viele Wissenschaftler_innen europäische Förderprojekte eine große Faszination: besonders der Austausch über viele Ländergrenzen hinweg macht sie spannend.

6.       Die Zukunft europäischer Politik

Die europäische Idee steht unter Druck:

Durch die Wirtschaftskrise vor allem in Südeuropa, aber auch durch wirtschaftliche Stagnation und zunehmende Abschottung in Osteuropa und natürlich den Brexit.  Die Erfahrung und auch wirtschaftswissenschaftliche Forschung zeigt, dass von Internationalisierung nicht alle Regionen gleich profitieren. Gilt auch für Europäische Union. Deutschland profitiert, für Griechenland etwa war die EU-Währungspolitik eine Katastrophe.

Damit steht die EU vor der Aufgabe, sozialen Ausgleich zu stärken. Nur wenn Menschen in allen Teilen der EU Nutzen spüren, wird die Europäische Einigung langfristig bestehen.

Der neue französische Präsident Macron hat vorgeschlagen, Netzwerke aus europäischen Universitäten zu schaffen. Jeder und jede unter 25, ob Auszubildende, Schüler_innen der Oberstufe oder Studierende, soll mindestens ein halbes Jahr in einem europäischem Ausland verbringen. Er forderte eine gegenseitige Anerkennung von Schulleistungen.

Auch in der Forschung muss sich der Solidaritätsgedanke stärker verankern: Länder wie Rumänien oder die Slowakei werden nicht einsehen, warum sie bei einem Anteil von 0,4 bzw. 0,2 Prozent der Förderung überhaupt noch mitmachen sollten. Deutschland alleine bekommt vier mal so viele Fördermittel wie alle 10 Beitrittsstaaten des ehemaligen Osteuropas zusammen. Das wird nicht so bleiben können, wenn Wissen den Austausch befördern soll.

Fazit: die Zukunft Europas entscheidet sich in der Frage, ob alle diese Zukunft mitgestalten können und von ihr profitieren.